Sagen rund um Aachen

Inhaltsverzeichnis

Die Tempelritter

Heute heißt noch in Aachen ein Platz der Templer Bend, der Tempelgraben liegt an dem Walle in der Nähe des Königstors und denselben Namen führt auch die Straße, an welche er grenzt. Hier soll einst das Tempelhaus gestanden haben, allein der Sage nach wäre es in die Erde versunken, nachdem sämmtliche Templer bei der bekannten Verfolgung dieses Ordens in einer Nacht ermordet worden waren. Zuweilen soll man noch im Weiergrund die Kirche sammt ihren Türmen erblicken und einmal des Jahres feiern sie alle in der Mitternachtstunde den Sturz ihres Ordens. Da erbebt, wenn die Glocke zwölf schlägt, die Erde, eine Donnerstimme ruft: »Ihr Templer erwacht und kommt heraus,« dann steigen die Templer, gefüllte Becher in den Händen, aus des Teiches Tiefe herauf, ein Saal wölbt sich um sie, sie setzen sich an einen langen Tisch zum Mahle, ihren Meister an der Spitze und sind vergnügt, hierauf aber kommen andere Gestalten, mit denen sie kämpfen, die Tafel verschwindet und aus dem Teiche baut sich eine Kirche mit Altar und Chor auf und die Templer ziehen paarweise geordnet durch die offene Thür betend hinein, doch kaum sind sie drin, so fängt die Oberfläche des Teiches an zu brausen, der Himmel verdüstert sich und Donner und Blitze kreuzen sich, aus der Kirche aber erklingt Schwertschlag und Mordruf, bis es Eins schlägt, dann sinkt die Kirche und mit ihr die Schaar der Templer in den Teich, nur der Meister erhebt sich in blutigem Gewande zuvor aus ihrer Mitte, droht mit gewaffneter Hand und ruft: »Rache, Rache!« Man sagt aber, daß wenn junge Mädchen in jenem Teiche ihre Hemden waschen, daß sie dann die Templer hinabziehen. Daher kommt wohl auch das Sprichwort zu Aachen, von einer die einen unpassenden Mann nimmt, sie habe einen Tempelherrn genommen, und der Ausdruck »tempeln« für schlagen, weil viele Aachener behaupten, wer des Nachts an jenem Teiche vorübergehe, bekomme Schläge.

Die Gründung der Stadt

Kaiser Karl der Große war ein eifriger Jäger und nichts liebte er so als das edle Waidwerk, mit dem er sich von seinen schweren Staatsgeschäften zu erholen pflegte. Nun waren aber in der Gegend, wo jetzt die Stadt Aachen liegt, vor Zeiten große Eichen- und Buchenwälder, die in ihrer Abwechselung mit dichten Tannen- und Fichtenwäldern, Sümpfen und Haidestrecken treffliche Verstecke für Wild und Raubthiere aller Art abgaben. Es darf also nicht Wunder nehmen, wenn der Kaiser, sobald er in diese Gegend kam, gerade hier am Meisten mit seinem Gefolge jagte. Auf einer dieser Jagden hatte er sich jedoch bei Verfolgung eines Hirsches allzuweit von seinen Begleitern entfernt und kam so im Walde herumirrend zu einem in Trümmern liegenden alten Schlosse, als er jedoch dasselbe näher in Augenschein nehmen wollte, versank plötzlich sein Roß mit den Vorderfüßen in einem Morast. Der Kaiser stieg von dem Pferde herab um es herauszuziehen und sah an der Stelle, wo dasselbe die Erde durchbrochen hatte, heiße Dämpfe und gleich darauf einen Wasserstrahl aus dem Boden aufspritzen. Der fromme Kaiser sank auf die Erde und dankte Gott in seinem Gebete für diese Entdeckung, denn er erkannte sofort, daß er eine heilbringende Quelle entdeckt habe. Er gelobte gleichzeitig der Jungfrau Maria hier einen Tempel zu errichten und sich aus dem alten Schlosse ein Jagdschloß und eine Pfalz bauen zu lassen. Das war die erste Entstehung des Kaiserpalastes zu Aachen und der Liebfrauenkirche. Nach und nach fand man noch mehrere heiße Quellen in der Nähe seiner Burg; diese ließ der Kaiser fassen und legte selbst Badehäuser an, die er später fleißig benutzte. Dies ist das sogenannte Kaisersbad gewesen.

Der Münsterbau, die Wolfstüre und der Daumen des Teufels 

Auf keins der vielen Bauwerke, welche Kaiser Karl der Große in seinem langen Leben unternommen hat, wendete er so viel Sorgfalt als auf den Bau des Münsters zu Aachen, er ließ aus Rom und Ravenna Säulen und Marmorsteine, von Verdun große Quadern und aus Steinbrüchen in der Nähe und Ferne Unmassen von Material herbeischaffen. Ansegis, Abt zu Fontanell in der Normandie, hatte den Plan des Baues entworfen und Karl’s Geheimschreiber Eginhard mußte ihn ausführen, er selbst aber sah aufs Recht und so kam es, daß die Ausführung des Plans bereits ziemlich weit gediehen war, als der Krieg mit den Sachsen den Kaiser nöthigte, Aachen zu verlassen und ins Feld zu ziehen. Vor seiner Abreise aber ließ er den Senat der jungen Stadt kommen, band ihm die fleißige Förderung seines großartigen Unternehmens auf die Seele und gab ihm, wie er glaubte, hinreichende Mittel, um den Bau zu vollenden. Allein obwohl der Rath der Stadt Alles aufbot, dem Befehle des Kaisers nachzureichen, so vermochte er doch nicht mit dem ihm angewiesenen Gelde auszureichen, sondern konnte zuletzt selbst die Handwerker und Arbeiter nicht mehr bezahlen, was zur Folge hatte, daß die geschicktesten derselben die Stadt verließen und keine Aussicht da war, ohne Bezahlung Ersatz für dieselben zu finden. Gleichwohl hatte aber der Stadtrath dem Kaiser gelobt, vor seiner Rückkehr das Münster fertig zu bauen. So saßen nun die Herren beisammen und zerbrachen sich rathlos die Köpfe, wo sie das benöthigte Geld hernehmen sollten. Da sagte einer aus ihrer Mitte, Geld müsse herbeigeschafft werden und sollte man es vom Teufel selbst leihen. Und siehe plötzlich stand ein stattlicher Fremder unter ihnen, der ihnen ganz offen sagte, er sei der Gottseibeiuns, habe von der Angst und Noth der Väter der Stadt gehört und sei bereit ihnen zu helfen, ja selbst mit Hand anzulegen, daß der Dom bald fertig werde, nur müßten sie sich eine kleine Bedingung gefallen lassen. Die Rathsherrn freuten sich natürlich gar sehr über das Anerbieten, fürchteten aber eine Falle und erkundigten sich nach der kleinen Bedingung, und als sie hörten, diese bestehe darin, daß die erste Seele, welche den Dom nach seiner Vollendung betrete, dem Teufel gehören solle, da erschraken sie freilich und wollten nichts davon wissen. Satanas aber malte ihnen den Zorn des Kaisers, wenn er zurückkäme und den Dom nicht fertig fände, so schlimm vor und meinte, für alles das was er ihnen böte, sei doch eine einzige Seele nur eine sehr dürftige Bezahlung, daß sie schließlich auf den Handel eingingen. Darüber ward denn ein förmlicher Contract aufgesetzt und mit allen Unterschriften des wohllöblichen Stadtraths dem Teufel eingehändigt. Kaum war aber der Pact in den Händen des Letztern, als auch Geld in Hülle und Fülle da war, der Münsterbau ward mit solcher Eile betrieben, daß die Vollendung desselben schneller ging, als sich der Rath gedacht hatte. Denn mittlerweile war der höllische Vertrag zu den Ohren der Bürgerschaft gedrungen und diese ging von der Ansicht aus, daß wie der Stadtrath denselben ohne die Bürger zu fragen, abgeschlossen habe, er nun auch verpflichtet sei, die Seele herbeizuschaffen und da man nun nicht verlangen könne, daß ein Bürger sich zu diesem Opfer entschließen solle, so möge nur einer aus der Mitte des Magistrats in den sauren Apfel beißen und zuerst in den Dom treten.

Da war nun guter Rath theuer, aber wie immer half ein schlauer Mönch dem geängstigten Collegium aus der Noth. Er meinte nämlich, der Teufel habe ja nur die erste Seele verlangt, die zur Tür des Doms hereingehen werde, dies müsse ja nicht nothwendig eine Menschenseele sein, eine Thierseele werde dies auch tun, und so athmeten die Rathsherrn wieder auf, denn sie sahen, daß der Mönch doch noch listiger sei als der Teufel selbst. Endlich war der Bau fertig und über Nacht brachte der Teufel das schöne, große, broncene Thor zum Haupteingange und hing dasselbe mit eigenen Händen in die Angeln. Am folgenden Tage stand dasselbe aber weitgeöffnet und hinter demselben saß der Teufel, denn es stand zu erwarten, daß heute die Neugierde eine Menge Leute in den Münster locken werde, und die erste Seele war dem Vertrage nach sein. Nun hatten aber die Rathsherren in der Umgegend einen Wolf einfangen und einstweilen in einem Käfig füttern lassen, damit er dem Teufel als erste Seele in den Münster zugetrieben werde, und so geschah es auch. Mit Blitzes Schnelle fuhr der Teufel aus seinem Verstecke über den Wolf her und riß ihm lebendig die Seele aus. Vor Wuth aber über den Betrug, daß man ihm eine Wolfsseele statt einer Menschenseele geopfert, verließ er mit Heulen und Zähnefletschen den Münster und schlug in seinem Grimm die eherne Tür mit solcher Gewalt hinter sich zu, daß sie einen Riß bekam, er sich selbst aber den Daumen der rechten Hand in einem der Thürknäufe abrenkte, welcher bald erkaltete und heute noch als Wahrzeichen in dem Thürknaufe stecken soll. Einheimische und Fremde bemühten sich bis jetzt noch vergebens denselben herauszuziehen, es gelingt wohl, ihn bis zum Rande hervorzuziehen, allein dann sinkt er immer wieder von selbst in seine Höhlung zurück, als wenn der Teufel selbst ihn an sich zöge. Wem es gelingt, ihn ganz herauszuziehen und ihn dem Domkapitel zu überreichen, der erhält von demselben ein goldenes Kleid zur Belohnung.

Zum ewigen Andenken an diese Begebenheiten ließ der Aachener Stadtrath das Bild des Wolfes in Erz gießen mit einem Loche an der Stelle der Brust, wo ihm der Teufel die Seele ausriß, und weil die Seele eines Wolfes einem Tannenzapfen oder einer Artischocke gleichen soll, hat man auch diese in Erz gießen lassen. Auf steinernen Säulen stehen diese beiden Güsse an dem Haupttore des Münsters, der Wolf rechts, der Tannenzapfen links, das Thor selbst aber heißt die Wolfstüre und jene beiden Bilder sind die Wahrzeichen der Stadt Aachen, welche jeder Fremde gesehen haben muß.

Die Klappergasse

Als nunmehr der Kaiser Karl sieggekrönt aus dem Kriege mit den Sachsen zurückkehrte, da freute er sich sehr, den Münster vollendet zu sehen, und schenkte um denselben bald einweihen zu können, alle noch zur Ausschmückung desselben fehlenden heiligen Geräthe. Da nun mittlerweile auf seine Einladung Papst Leo III. selbst nach Aachen kam, um den Dom einzuweihen, so strömte natürlich eine ungeheure Anzahl von Grafen und Herren, Bischöfen und Prälaten zu dieser Feierlichkeit in Aachen zusammen, und der Kaiser sah seinen Wunsch, an diesem Tage 365 Bischöfe hier beisammen zu sehen, also gerade so viele als Tage im Jahre sind, beinahe erfüllt, denn es waren wirklich 363 versammelt, allein Gott wollte seinem frommen Sohne wirklich die Freude machen, seinen allerdings etwas wunderlichen Wunsch buchstäblich zu erfüllen, denn in der Nacht vor Einweihung des Münsters erschien in dem Gewölbe der St. Servatiuskirche zu Mastricht, wo die Gebeine der heiligen Bischöfe Monulphus und Gondulphus ruhen, ein heiliger Engel und rief: »Monulphe und Gondulphe stehet auf und ziehet gen Aachen zur Einweihung des Münsters.« Die beiden Bischöfe erhoben sich und zogen in vollem Ornate zur Stunde nach Aachen. Eiligen Schrittes zogen sie durch die Jacobsstraße und als sie sich dem Münster näherten, zitterten ihre Gebeine vor Freude und Aufregung, so daß sie förmlich klapperten und Viele dies ganz eigenthümliche Geklapper deutlich hörten. Sie traten in das offenstehende Thor des Münsters ein und nahmen zwei von den für die 365 Bischöfe bestimmten Sitzen ein, hierauf weihte der Papst mit der größten Feierlichkeit das Münster ein und nannte es nach des Kaisers ausdrücklichem Wunsche zu unserer Lieben Frauen. Nach der erhabenen Feier aber verließen die zwei Heiligen an demselben Abend die Stadt Aachen und kehrten auf demselben Wege wieder in ihre Ruhestätte zurück. Die Straße aber, durch welche sie an jenem Abend gezogen waren, heißt bis diese Stunde noch die Klappergasse. In Mastricht aber war jene Reise der zwei Heiligen nicht unbemerkt geblieben, denn bis auf den Anfang dieses Jahrhunderts war in dem Gewölbe der besagten Servatiuskirche die Figur eines Engels zu schauen, welche eine Schrift mit folgenden Worten in der Hand hielt:

Monulphe, Gondulphe, staat ober, vaart,

Wyt Aken dat Münster, seyt God en gepaart!

Der Loosberg 

Als der dumme Teufel mit der Wolfsseele den Münster zu Aachen verlassen hatte und außer dem Schaden auch noch den Spott hatte, da beschloß er, sich auf eine furchtbare Weise an der armen Stadt zu rächen, also daß sie und Alles, was in ihr sei, vernichtet werde. Er flog also durch die Lüfte hinab nach Flandern ans Gestade des Meeres und hob mit Hilfe seiner Unterteufel die größte Düne, die er finden konnte, in die Höhe und legte sich solche wie einen Sack auf die Schulter und flog dann mit dieser Last wieder nach Aachen zurück; weil ihm aber unterwegs der Wind den Sand aus derselben ins Auge trieb, so konnte er zuletzt nicht mehr unterscheiden, ob er den rechten Weg eingeschlagen habe. So kam er denn bis zu dem Soersthal, wo er müde und matt ein altes Weib, welches ihm begegnet, fragte, ob es wohl noch weit von hier nach Aachen sei. In diesem Augenblicke sah aber die Frau an dem Pferdefuß, den er hatte, wer der Fragende sei und wußte natürlich auch, daß er den Sandberg jedenfalls über der Stadt Aachen niederfallen lassen und die Stadt sammt Münster und Kaiserpalast verschütten wolle, sie schleuderte daher schnell ihren Rosenkranz mit dem Kreuze daran auf den Sandhügel. Der Teufel mußte ihn von dieser Kraft besiegt fallen lassen und so fiel er plötzlich nieder und spaltete sich in zwei Berge, von denen der größere der Loosberg (von Los d.h. ledig, frei, oder von Lus d.h. lose, schlau), der andere aber der St. Salvatorberg heißt, zwischen denen die sogenannte Tiefe Gasse liegt. Zur Erinnerung an diese Begebenheit hat man auf die Ostspitze desselben ein Kreuz aufgestellt, welches erst in neuerer Zeit von dort verschwunden ist. Auf dem St. Salvatorberg ward übrigens späterhin von Ludwig dem Frommen ein Kloster erbaut.

Die Glocke im Dom

Obgleich die Einweihung des Münsters durch den Papst Leo stattgefunden hatte, war gleichwohl noch ein fühlbarer Mangel an dem Prachtbau zu bemerken. Es fehlte nämlich noch an einer Glocke, welche die Gläubigen zur Andacht in die Räume des Gotteshauses rufen sollte. Da aber die Kunst des Glockengießens zu jener Zeit noch ziemlich unbekannt war, so war der Kaiser genöthigt, einen Mönch aus St. Gallen, mit Namen Danko zu verschreiben, der ein berühmter Glockengießer war. Derselbe kam auch und der Kaiser stellte ihm mit der größten Freigebigkeit alle für seine Arbeit nöthigen Metalle zur Verfügung, namentlich gab er ihm auch dreitausend schwere Pfund Silberstufen, damit der Ton der Glocke ein silberheller, weithin schallender sein sollte, und räumte ihm auch ein besonderes Gebäude für seine Arbeiten ein. Der Künstler ging auch eifrig an seine Arbeit, allein er ließ Niemand zuschauen und arbeitete blos bei verschlossener Tür, denn er hatte die frevelhafte Absicht, das Silber für sich zu behalten und statt desselben schlechtes Zinn zu verarbeiten. Nach Verlauf von drei Wochen kam er mit der Arbeit zu Stande und als die Glocke aus der Grube gezogen ward, da leuchtete sie Allen spiegelblank wie Silber entgegen und Alle frohlockten über das gelungene Kunstwerk. Sie ward nun in dem Turme in die Höhe gezogen und bald schwebte sie hoch oben in ihrer neuen Wohnung, der Kaiser aber erschien mit seinem ganzen Hofstaate in Begleitung des Glockengießers und Domcapitels, um die Stränge der Glocke zum ersten Male zu ziehen und ihr ihren ersten Gruß abzugewinnen. Nach einem Gebet an die h. Jungfrau zog er mit aller Kraft, aber die Glocke gab nur einen dumpfen Ton von sich, und der Kaiser forderte nun den Danko auf, das Seil zu ziehen, vielleicht daß es ihm gelänge einen bessern Klang hervorzubringen. Natürlich mußte dieser gehorchen, er zog mit aller Kraft den Strang, man vernahm kein Geläute, wohl aber das Krachen des Gebälkes im Glockenstuhl, welches der herabstürzende Klöppel durchschlug und im Falle den betrügerischen Glockengießer traf und tot niederschmetterte. Da sahen Alle das Gericht Gottes, denn im Hause Danko’s fand sich das unterschlagene Silber noch vor.

Wenn sonst Gesellschaften in Aachen bis in die späte Nacht beisammen waren, so pflegten sie sich beim Auseinandergehen scherzhaft zu warnen: »Nämt üch en Aht, dat üch et Baahkauf net krit (hütet Euch, daß Euch das Bachkalb nicht erwischt)« und die Antwort pflegte dann meist ein Gelächter oder ein Ausdruck zu sein, wie: »Die Aue haue Knöp feil (die alten Voreltern hatten immer etwas im Hintergrunde)« oder: »Vür sölle et wahl afschödde (wir werden es wohl abschütteln).«

Das Bachkalb oder Baahkauf 

Das Baa- oder Bachkauf (Bachkalb) ist ein nächtliches thierartiges Gespenst, welches zu Aachen von Punkt eilf Uhr in den verschiedensten verrufenen Gassen z.B. der Fehlergasse, Hinzegasse, Rheigasse etc. sein Wesen treibt und denen, die sich in jenen Gassen Nachts herumtreiben, plötzlich auf den Rücken springt und ihnen aufhockt. Es macht sich furchtbar schwer und drückt den damit Beladenen die Kehle zu, zuletzt wirft es sie durch seine Schwere zu Boden. Eine eigentliche Beschreibung konnte jedoch Keiner von diesem Ungethüm geben, es hatte die Gestalt eines ungewöhnlich großen Kalbes, war aber dabei ganz zottig. Der Kopf war breit und dick, das sich weit öffnende Maul zeigte große, scharfe Zähne, die Augen waren glotzig und leuchteten im Dunkeln wie Feuerkugeln, die Klauen glichen fast Bärentatzen mit scharfen Nägeln, der Schweif aber war mit Schuppen besetzt und schleppte lang über der Erde nach. An Hals und Beinen hatte es Ketten, die gar gewaltig rasselten, wenn es in stiller Nacht über die Straße lief. Sein Hauptaufenthalt war im sogenannten Kolbert, einer Art Halle, durch welche ein heißer Bach, der Abfluß der Bäder fließt und wo in früherer Zeit obdachlose Arme, auch Nachtschwärmer ein Obdach suchten. Es hielt sich aber auch unter den Bänken des Fischmarkts auf. Seine Hauptangriffe waren auf Trunkenbolde und alte und junge Nachtschwärmer gerichtet. Es trieb die, welchen es aufsaß, durch die kothigsten Gassen, warf sich auch zuweilen mit ihnen in den Schlamm und wälzte sich dort mit ihnen herum, sonst ließ es sich von ihnen bis zu eines jedweden Behausung tragen, dann sprang es herab und wo möglich gleich wieder einem andern Vorbeigehenden auf den Rücken. Fluchte der, welchem es aufhockte, so machte es sich leichter, betete er aber, so ward es immer schwerer, ging der Weg aber an einer Kirche vorüber, dann sprang es gewöhnlich herab. Einmal kam ein Mann spät Abends aus einem Weinhause; er mußte über den Fischmarkt, doch ehe er noch an dem Kornhause war, hörte er schon das Bachkalb unter den dortigen Fischbänken an der Taufkapelle furchtbar brüllen und sah dann, es war heller Mondenschein, dasselbe sich schwerfällig erheben und auf sich losschleichen. Er eilte längs den Häusern hin, um auf die Rennbahn zu kommen, wo er wohnte. Es gelang ihm auch sein Haus zu erreichen, allein da stand auch das Bachkalb vor ihm. Mit den Füßen schlug er an die Haustüre, denn er wagte nicht sich umzukehren und rief: »Bäbche, Bäbche, leifste Kenk! Oem alle dousend Goddes Well, dög op op, et Baahkauf (Bäbchen, liebstes Kind, um Alle tausend Gottes Willen thue die Tür auf, das Bachkalb ist da!)« Seine Frau sah zum Fenster heraus, eilte so schnell wie möglich herab und siehe da, als sie öffnete, stürzte ihr Mann zur Tür herein. Sie hatte Mühe ihn herauf zu schleppen, denn er war ganz außer sich und in Schweiß gebadet. Er legte sich hin und ward krank, in vierzehn Tagen aber begrub man ihn. Seitdem jedoch der Kolbert überwölbt ist und darüber in der neuesten Zeit Häuser erbaut sind, läßt sich das Ungethüm nicht mehr sehen.

Die Mobesin

Vor vielen hundert Jahren wohnte in einem großen Hause am Hirschgraben ein böses Weib, welches das Volk die Gräfin Mobesin nannte. Wo sie hergekommen war, wußte Niemand, allein sie gab viel Geld aus, hielt[92] sich Pferde und Wagen, hatte jedoch mit Niemand Umgang, in die Kirche aber ging sie gar nicht und die Armen bekamen auch nichts von ihr. Am Tage und des Nachts waren Fenster und Tür stets verschlossen; so still es aber den Tag über war, des Nachts war es dafür sehr unruhig darin, Licht blinkte durch die Läden und es schien große Gesellschaft bei ihr zu sein. Sie hielt sich eine Köchin, die sie jedoch des Nachts in ihre Kammer einschloß. Einst hatte sie dies jedoch vergessen und da dieselbe gerade nicht schlafen konnte, vernahm sie in der Mitternachtstunde aus dem Saale das Geräusch von Becherklang und von Tanzenden, gleichwohl hatte sie keine Gäste kommen sehen. Da ward sie neugierig und schlich sich auf den Zehen hinaus, um durchs Schlüsselloch zu sehen. Auf einmal hörte sie einen gellenden Ruf: »Schwestern, löscht die Lichter aus!« Und auf einmal war die Köchin blind, am andern Morgen aber bestrich die Mobesin ihr die Augen mit einer Salbe, so daß sie wieder sehen konnte und sprach: »Marikathrin (so heißen nämlich in Aachen vorzugsweise die Köchinnen, während die gewöhnlichen Dienstmädchen Trienchen genannt werden) morgen bist Du auch dabei!«

Ein anderes Mal hörte der an ihrem Hause vorübergehende Nachtwächter ebenfalls einen wüsten Lärm aus ihrem Parterre herausschallen, da dachte er, du mußt doch einmal durch die Läden gucken, vielleicht kannst du jetzt etwas sehen. Er stellte sich also an einen Laden und schaute durch eine Spalte ins Zimmer. Da war eine große Tafel gedeckt, um dieselbe, die hell mit Lichtern erleuchtet war, saßen auf Stühlen eine Menge alte und junge Katzen, die fürchterliche Gesichter schnitten, auf dem Tische aber lagen vor ihnen große Goldhaufen. Den Ehrenplatz aber nahm die große schwarze, in der ganzen Stadt bekannte Lieblingskatze der Mobesin ein.

Diese Katze war aber im Hause der bösen Frau ein gefürchtetes Thier, denn jeder Handwerker, der dort etwas zu arbeiten hatte, mußte von ihr leiden. Sie schlich stets um die Arbeitenden herum und schien sie zu beobachten; wenn einer einen heimlichen Schnaps nehmen wollte, da stieß sie ihm gewiß das Glas oder die Flasche um und wenn namentlich die Maurer mit Feueranschlagen die Zeit vertrödelten, da wußte sie es so einzurichten, daß sie sie stieß, so daß sie sich mit dem glühenden Schwamm die Finger verbrannten. Dies that sie auch einmal einem Dachdecker, der gerade auf dem Dache Ziegel einzog, dieser aber wüthend vor Schmerz griff nach dem Hammer, schlug nach ihr und traf sie so gut, daß er ihr von der Vorderpfote drei Zehen abschlug und das Blut hervorquoll. Die Katze floh brüllend zum Dachfenster herein und unmittelbar darauf hörte man im Hause Schreien und Lärmen. Der Kutscher kam herausgelaufen und rief, seine Herrin sei schwer verwundet. Der Arzt ward geholt und fand, daß der Gräfin drei Finger an der rechten Hand fehlten, welche von einem stumpfen Instrument abgeschlagen zu sein schienen. Da nun dieselbe aber nicht angeben konnte, wo und wie sie die Finger eingebüßt hatte, so suchte man im ganzen Hause nach und fand dieselben schließlich in der Dachrinne. Da aber der Dachdecker aussagte, daß er ihrer Katze zuvor drei Zehen abgeschlagen hatte, so war kein Zweifel mehr, daß sie eine Hexe sei, die sich in eine Katze verwandeln könne. Sie ward gefangen gesetzt und zum Tode verurteilt, auch auf dem Marktplatze zu Aachen verbrannt, allein wo sie ihre Schätze hin versteckt hatte, gestand sie nicht ein.

Die buckligen Musikanten

Am Tage St. Matthäi im Jahre 1549 kam ein armer buckliger Spielmann spät in der Nacht nach Aachen von einem Dorfe zurück, wo er bei einer Hochzeit aufgegeigt hatte. Halb im Taumel, denn er hatte sich den Hochzeitstrunk wohl schmecken lassen, achtete er nicht auf die Zeit und gerade stand er vor dem Münster, als die Turmglocke desselben Mitternacht schlug. Da wurde ihm Angst und bange, denn er glaubte Eulengeschrei und Gezwitscher von Fledermäusen um sich zu hören, er eilte also seiner Wohnung zu, die auf der Jacobstraße gelegen war. Als er aber den sogenannten Pervisch (vom lat. parvisium) oder Fischmarkt betrat, da schimmerten alle Fischbänke mit schneeweißen Tischtüchern belegt und von unzähligen Lichtern erhellt ihm glänzend entgegen, köstliche Speisen waren in goldenen und silbernen Schüsseln aufgetragen und perlender Wein blinkte in großen Krystallkrügen. Um die Tische herum aber saß eine große Menge reichgekleideter Damen und ließ es sich herrlich schmecken. Erschrocken hockte sich der Spielmann in eine Ecke, denn es fiel ihm ein, daß heute ja die Quatembernacht sei und da die Hexen ihren Spuk treiben. Doch es war zu spät, eine der dort sitzenden Damen hatte ihn bereits bemerkt, sie stand auf und nöthigte ihn an ihren Tisch; als derselbe aber mit klappernden Zähnen und schlotternden Knieen vor ihr stand, da redete sie ihm zu, Muth zu fassen, es solle sein Schade nicht sein, wenn er ihnen ein lustiges Stücklein vorspielen wolle, sie reichte ihm auch einen Becher Weins, und als er denselben geleert, da nahm er die Geige zur Hand und fing lustig zu fiedeln an. Da wurden eilig die Bänke mit Allem, was darauf war, bei Seite geschafft, die Damen, unter denen er manche vornehme Frau aus der Stadt zu erkennen glaubte, erhoben sich allzumal bei dem Tone der Geige und bald wirbelten die Paare durcheinander. Nun aber ging es immer schneller und schneller und der Spielmann geigte, wie von unsichtbarer Hand getrieben, immer toller darauf los, so daß er mehrmals vermeinte, die Saiten müßten in tausend Stücke zerspringen und ihm Hören und Sehen vergehen. Indeß sausten die Paare noch immer durcheinander im Reigen, während sein Arm kräftig den Bogen führte, und sein Spiel so stark wurde, daß es ihm vorkam, als wenn ein ganzes Concert von Geigen und gellenden Flöten hinter ihm aufgestellt sei, welche alle in seine Töne einstimmten. Da summte plötzlich die Turmuhr drei Viertel auf Eins und plötzlich hielten die Paare in sichtbarer Erschöpfung inne, Alles wurde wieder mit einem Male ruhig und in seine vorige Ordnung gerückt. Unentschlossen stand aber der Spielmann da, nicht wissend, ob er bleiben solle oder gehen dürfe. Da trat die frühere Dame wieder zu ihm heran und sprach: »Bravo, Spielmann, Du hast uns wacker vergnügt, darum soll Dir auch der gebührende Lohn werden.« Und damit hatte sie ihm bereits das Wamms ausgezogen und ehe er noch recht zur Besinnung kommen konnte, war sie schon hinter ihn getreten und hatte ihm mit einem Griffe seinen Höcker abgenommen. Wer war froher als der arme Geiger, dankdurchdrungen wollte er vor seiner Wohlthäterin niederfallen – da aber schlug es Eins und mit diesem Glockenschlage waren Damen, Lichter und Mahl verschwunden, und der Spielmann stand ganz allein auf dem Platze. Daß es aber kein Traum gewesen, was ihm begegnet, davon überzeugte er sich, als er seinen Rücken anfühlte, derselbe war schlank und glatt, kein Höcker war mehr da und als er in seine Taschen griff, die ihm ungewöhnlich schwer vorkamen, da fand er eitel Goldstücke, und eilte als zweifach glücklicher Mann in seine Wohnung. Dort aber erkannte die harrende Frau ihren verwandelten Mann fast nicht mehr wieder, bis ihr seine Erzählung die Begebenheit der verflossenen Nacht kund machte. Da dankte die Frau dem Himmel für das ihnen widerfahrene Glück und am andern Morgen ward die Geige, die so viel Heil ins Haus gebracht, unter dem Bilde des Schutzpatrons aufgehangen und fortan zum ewigen Gedächtniß für Kinder und Kindeskinder als ein Heiligthum bewahrt.

Des armen Spielmanns Glück wurde nun aber bald in der Nachbarschaft bekannt und erregte ihm viele Neider, namentlich ärgerte sich ein Camerad von ihm, ein häßlicher, buckliger Geselle, am Meisten darüber. Er dachte also Tag und Nacht darauf, wie auch er gerade werden möchte und so begab er sich auf St. Gerhardi Nacht um die zwölfte Stunde ebenfalls nach dem Pervisch. Dort fand er richtig auch dasselbe Gelage und ward gerade wie sein Camerad von einer der Anwesenden zum Spielen aufgefordert. Aber als er seine Weisen zu spielen anfing, da verdrehten sich die lustigen Tanzmelodieen in Sterbelieder und Trauermärsche, und es erhob sich um ihn ein höllisches Gepfeife und Gezische und die Paare drehten sich trübselig und langsam im Kreise. Der Spielmann aber, noch immer vermeinend, seine besten Melodieen vorzutragen, musicirte stark darauf los und erwartete nun, da der Tanz vollendet war, nichts weniger als einen noch reichern Lohn, denn sein Vorgänger, und trat keck an die Tafel und redete die vorsitzende Dame, in welcher er die Frau des Bürgermeisters zu entdecken wähnte, frech an und fragte sie »ob er denn für sein schönes Spiel nicht einen bessern Lohn verdiene, als der Stümper, den sie neulich so beschenkt habe?« Da nahm die Dame im Nu den Deckel von einer silbernen Schüssel und ehe er sichs versah, klebte der darin aufbewahrte Höcker seines Gesellen vorn an seiner Brust. So stand denn der Neidhart mit dem doppelten Bollwerk umgeben wie eingewurzelt da, bis beim ersten Schlage der Morgenstunde der Spuk verschwand und der arme Teufel sich mit der zweifachen Last nach Hause trollen mußte, um sie bis an seinen Tod mit sich herum zu tragen.

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Original: Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des preußischen Staates

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