Sagen vom König Widukind

Der Sachsen-König Widukind (auch Wittekind oder Weking genannt) war ein Gegenspieler von Karl dem Großen und wohl letzter nicht christlicher Könid in Deutschland. Den Krieg gegen Karl den Großen verlor er letztendlich und die Sachsen wurden christianisiert. Dennoch bekam er einen moythischen Ruf und viele Geschichten ranken sich um ihn.

König Wittekind hat die Kirchen zu Herford, Enger und Schildesche gegründet und gesagt, da, wo man zuerst mit dem Bau derselben fertig sei, wolle er begraben sein; die zu Enger haben darauf zuerst die Kirche gebaut, ohne den Turm, und sind dann auch zuerst fertig gewesen. Nach Herford ist Wittekind zuerst zu Wagen gekommen und hat, als er angekommen ist, gesagt: Her fart, davon soll die Stadt den Namen Herford bekommen haben. Andere erzählen, daß, als er dem Bau eines Hauses zwischen Herford und Bielefeld zugesehen, einem Zimmermann sein Beil entfallen sei und dieser ihm zugerufen habe: Here fort, de bîle fällt. Darum habe er die nächstgelegenen Städte Herford und Bielefeld genannt.

Als dem Wittekind (oder Weking) die Feinde zu mächtig geworden waren, so war er einige Zeit verschwunden, angeblich war er zu entfernten Freunden verreiset. In der That war er aber daheim und weilte verborgen auf zwei Gütern, nämlich auf der alten Burgveste, welche westlich von Lübbecke oberhalb des Dorfes Mehmen lag und deren Stätte jetzt Babylonien heißt und in der Burg, welche auf dem Werder stand, den der Einfluß der Werra in die Weser bildet, etwa da, wo jetzt Rehme ist. Oft ritt er in jener Zeit von dem einen dieser Orte zu dem andern hinüber, allein immer nur des Nachts und nie anders als mit verkehrt aufgelegten Hufeisen. In der sogenannten Wallücke, einer Bergschlucht, ist vor funfzig Jahren noch eine später zugeschüttete Höhle gewesen, wo sich König Wittekind einst in harter Bedrängniß vor seinen Feinden versteckt gehalten hat.

Derselbe Herzog besaß am Fuße des Margarethenberges, der sonst Wekingsberg hieß und wo das so malerisch gelegene Wedigenstein in das Weserthal hinabsieht, ein steinernes Waldhaus, wo er aber von Karls d. Gr. Kriegern gefangen genommen worden ist. Dort steht auch seit dem Jahre 1829 ein ihm errichtetes Denkmal in Form einer zwölf Fuß hohen viereckigen Spitzsäule.

Einstmals hat der Herzog Wittekind Bettlerlumpen angelegt, um durch sie unkenntlich zu werden, und ist in diesen in das Lager Karls d. Gr. gegangen, um unentdeckt sich darin umzusehen. Als er aber in das fränkische Lager trat, da war gerade der Tag des Herrn und beide, das Volk und die Fürsten, hatten sich im heiligen Bethause versammelt. Da hat sich Wittekind zu den andern Krüppeln gestellt, welche am Eingange des Heiligthums harrten, daß ihnen ein Almosen gereicht werde. Denn hier, meinte der königliche Bettler, könne er am Unbeachtetsten den gepriesenen Karl schauen, wenn derselbe in der Mitte seiner Ritter aus dem Gotteshause trete. Als er nun, hart an die Pforte gelehnt, sich hinüberbiegt und hineinblickt in die geweihete Wohnung, da soll vom Altare her das Jesuskind ihn angelächelt haben. Nach Einigen soll er sich nun vor dem Altare auf die Kniee niedergeworfen, und als Alle ihn erstaunt und verwundert umringten, ausgerufen haben: »Ich bin Wittekind der Sachsenherzog, gebt auch mir die Taufe, daß ich ein Christ werde«; nach Anderen aber hat er sich nicht zu erkennen gegeben, wohl aber hat Karl in dem fremden Bettler den Sachsenherzog erkannt, hat ihn aber unbehelligt ziehen lassen.

Nicht lange nach dieser Zeit ritt er über die Berghöhe, worauf jetzt Bergkirchen liegt, und erwog bei sich, welcher Glaube wohl der beste sei, der Götterdienst seiner Väter oder die neue Christenlehre der Franken. Er sprach dann bei sich selbst: »Ist dies die rechte, so möchte ich wohl ein Zeichen haben, wodurch ich gewiß würde!« Siehe aber in demselben Augenblicke scharrt das Roß und aus dem felsigen Boden springt ein mächtiger Quell hervor. Da ist der König abgestiegen und hat von dem Wasser getrunken und gelobt ein Christ zu werden. Ueber dem Quellborn aber ist hernach eine Kirche gebaut worden, welche vom Papste Leo selbst geweiht ist und noch heutigen Tages steht.

Indessen nennen Andere als den Ort der Taufe Wittekinds statt Bergkirchen den Seelborn zu Engern, der davon seinen Namen erhielt, daß damals die Schaaren von Kriegern, welche seinem Beispiel folgten, hier die Glaubensweihe empfingen. Noch Andere sagen aber, dies sei zu Belm (eigentlich Bethlehem) bei Osnabrück geschehen, in dessen Kirche auch seine Gemahlin Geva, die Tochter des Dänenkönigs Siegfried begraben ist. Sein Taufpathe ist aber Karl d. Gr. selbst gewesen und um zu zeigen, daß sein Glaube aufrichtig sei, hat er das schwarze Pferd, ohne Gebiß und Zügel, welches er als sein Zeichen auf dem Schilde führte, in ein weißes verwandelt.

Als er nun Christ geworden war, da beschloß er, sich einen Königsitz zu erwählen, wo er beständig bleiben könne. Drei Orte waren ihm besonders lieb: die Höhe von Bünde, der Werder von Rehme und das fruchtbare Angerthal. Da sprach er, welcher dieser drei Orte zuerst seine Kirche fertig hätte, an dem wolle er wohnen. Alle drei bauten nun eifrig fort, allein der Baumeister des Angerthales verschaffte seinen Bauherren den Sieg durch List, denn er baute die Kirche ohne Turm. Dieser Baumeister soll ein Mohr gewesen sein; seinen Kopf hat er in Stein aushauen lassen und als Wahrzeichen an die Kirche gesetzt, wo er noch jetzt zu sehen ist. Die dazu angewandten Steine sind aus einem ganz nahe gelegenen Hügel genommen worden, welcher jetzt der Liesberg heißt. Der hat davon den Namen erhalten, daß die Steine dort nicht gebrochen, sondern zusammengelesen worden sind. Nach Vollendung des Kirchenbaues hat man aber keine mehr gefunden.

Als nun die Kirche fertig war, hat man den Entschluß gefaßt, den noch fehlenden Turm an die Kirche anzubauen und ihm weder an Höhe noch an stattlichen Verzierungen irgend etwas fehlen zu lassen. Allein dieser Plan konnte nicht ausgeführt werden, denn was den Tag über gemauert war, fiel allemal in der Nacht wieder ein. Da bemerkte man, daß ein nicht weit von der Kirche gelegener Platz immer am Morgen trocken gefunden ward, während alles Andere feucht war, und da man diese Wundererscheinung drei Morgen hinter einander bemerkte, so wurde beschlossen, den Turm, der ja doch nicht an der Kirche stehen wollte, hier zu erbauen. Dies gelang auch anfangs, allein als der Bau einige Zeit lang fortgeführt war und eine geringe Höhe erreicht hatte, begann das alte Unwesen von Neuem wieder. Alle Bemühungen weiter zu kommen waren vergebens und so ist denn der Turm zu Enger einige Schritte von der Kirche ab vereinzelt und unansehnlich stehen geblieben. Nicht weit von der Kirche des Angerthales baute Wittekind seine Königsburg. Noch wird die Stelle gezeigt, wo sie gestanden und selbst von einzelnen Theilen derselben haben Namen und andere Erinnerungen noch heutigen Tages die Lage aufbewahrt. Der alte Burggraben, der Küchengarten an der Burg, die Pferdeschwemme in der Bornwiese, ebenso der Hühnerhof haben alle ihre alten Benennungen behalten. Bei dem neuen hölzernen Hause, welches jetzt an der Stelle des alten steht, aber immer noch den alten Namen trägt, erinnern noch Ueberreste verwitterter Mauern an die Zeit des alten Königs. Auch weiß man, daß die Küche und das Backhaus da waren, wo jetzt Bergmann’s Garten ist. Auch noch ein Ueberrest der alten Hofmauer existirt und beim jetzigen Ausgang von Enger, an Vortreden-Hause, befindet sich ein achteckiger ausgekehlter Stein eingemauert, welcher einst seine Stelle über der Schloßpforte gehabt und die Krone getragen hat. Von der Stadt Engern aber, welche sich weithin um die Burg ausbreitete, ist das jetzige Städtchen Enger nur ein kleiner Ueberrest. Sie hatte sieben Pforten oder Tor: die Nordpforte bei Nordmeier’s Hofe, die Burgstädterpforte unweit der Burg, die Kniggenpforte an der Landstraße nach Bünde, die Niedermühlenpforte am Wege nach Herford, die Bruchpforte an der Enger’schen Niederung, die Lübberpforte an der Straße nach Westerenger[711] und die Niederpforte bei Niemann’s Hofe. Die Stadt schloß in sich das Marktfeld, wo sich der Marktplatz befand, das Opferfeld, wo man die Opfer brachte, und den Seelborn, wo viele Engerer getauft wurden. In diesem Bereiche lagen auch die jetzigen großen Bauerhöfe eines Ringsmaier, Barmaier, Windmaier, Ebmaier. An solchen Stätten hatte Wittekind seinen Marstall, seinen Thiergarten mit Bären und anderem Wilde, seine Wind- und Jagdhunde. Südlich reichte die Stadt bis an den Elsternbusch, fast eine halbe Stunde von dem jetzigen Enger. Der Elsternbusch war ein Lustgehölz, eine Viertelstunde lang. Jetzt wird seine Stelle durch ein kleines Dorngebüsch unweit Ebmaier bezeichnet. Hier hatte der König seinen Vogelherd und das Vogelhaus. Zwei junge Burschen fingen und pflegten die Vögel. Sehr oft war aber der alte König selbst da und hatte seine Freude an den kleinen Vogelstellern.

Das heutige Westerenger bildet die Vorstadt, in welcher ein Vorwerk oder eine Meierei war. Noch führt ein großer Bauhof den Namen »Vorwerk«. Rings um die Stadt und ihr Gebiet war in einem großen Bogen eine Landwehr oder ein hoher Erdwall mit einem Graben gezogen, welcher nach und nach eingeebnet ist. In der Bauerschaft Herringhausen sollen noch Spuren desselben zu finden sein.

Um seine Burg her versammelte der König seine Freunde, Waffengenossen und Diener. Sie bildeten sein Gefolge. Er gab ihnen große Grundbesitzungen zu ihrem Unterhalte und bestimmte ihre Aemter an seinem Hofe. Sie hießen Maier (von major, der Größere, Angesehenere) und weil sie den Wittekind zu Pferde begleiteten und wie er auf Sätteln ritten, so nannte man sie Sattelmaier. Herzog Weking verlieh ihnen große Vorrechte, machte sie zehent- und steuerfrei und zeichnete sie vielfach aus. Späterhin waren sie verpflichtet, einen Reiter im Kriege zu stellen, für die Wagen des Landesfürsten, wenn er die Grafschaft bereiste, die Gespanne zu liefern und voraus, zur Seite oder hinterher zu reiten. Alle diese Verpflichtungen haben aber in diesem Jahrhundert aufgehört. Jetzt sind ohngefähr noch vierzehn Sattelmaier vorhanden. Sieben haben ihre großen Bauergüter in der nähern Umgegend von Enger, sieben weiterhin in den Kirchspielen Werther, Dornberg, Schildesche und Heepen. Jene sieben sind Barmaier, Nordmaier, Ebmaier, Maier Johann, Ringsmaier, Maier zu Hücker und Maier zu Hiddenhausen, diese die Maier zu Rhoden, zum Gottesberge, zum Hohberge, zu Ollerdissen, zu Südbrack, zur Müdehorst und zum Wendt’schen Hofe. Wenn sie mit dem Könige ritten, so eröffnete der Maier zu Hiddenhausen den Zug und der Maier zu Hücker schloß ihn. Ringsmaier hatte die Aufsicht über den Marstall, Ebmaier war Wildmeister und ordnete die Jagden an, Barmaier befehligte die Hirten, welche die großen Rinder- und Schweineheerden des Königs hüteten, Windmaier war Wekings Jäger und führte die Aufsicht über die Windhunde. Er gehörte aber nicht zu den Sattelmaiern. Wenn er mit diesen im Gefolge des Königs ritt und der Zug über eine Wehre ging, so mußte er absteigen und das Heck aufnehmen. Die frühern Vorrechte der Sattelmaier bestehen nicht mehr, nur bei ihrer Leichenbestattung genießen sie besonderer Ehren. Drei Tage nach einander werden sie beläutet, der Leichenwagen wird mit sechs Pferden bespannt und ein gesatteltes Roß hinterher geführt. Schon vom Sterbehaus aus begleiten die Ortsgeistlichen[712] den Sarg; man trägt ihn erst in die Kirche, setzt ihn vor dem Altare nieder, der Pfarrer hält die Leichenpredigt und erst nach dem Gottesdienste geschieht auf dem Kirchhofe die Einsenkung.

Der alte Sassenheld lebte im Angerthale mit den Seinen in Ruhe und Frieden. Noch zeigt man die Oerter, wo er sich gern aufhielt. Der hohe Esch bei Hücker war ein solcher Lieblingsplatz. Dort, wo nachher die sieben Buchen standen, hatte sich der König einen Turm gebaut. Wenn er nun hierher kam, stieg er auf die Zinne der Warte und übersah sinnend das schöne Hügelland zwischen dem Süntel und Osning und die fruchtbaren Fluren, welche jetzt der Ruhe genossen. Neben der Warte stand eine Linde, ein Heiligthum aus der Väterzeit, und auf der Linde war ein Sitz angebracht, auf welchem der alte Herzog oft gesessen hat. Nach Wittekinds Tode brach man den Turm ab und baute dahin eine kleine Kapelle. Als endlich der uralte heilige Baum dahinsank, wuchs wunderbarer Weise an seiner Stelle eine Buche hervor, deren Stamm sich nahe an der Erde in sieben Schäfte teilte. Jeder Schaft war aber von außerordentlicher Höhe und Dicke. Oben vereinigten sie sich in ihren sieben Wipfeln, so daß in der Ferne die gewaltige Krone als Ein Wipfel aussah. Man nannte den Baum die sieben Buchen und sah ihn weit und breit. Lange haben die einzelnen Schäfte gestanden, einer wurde durch Blitz zerschmettert, andere durch Sturm umgeworfen und der letzte ist vor ohngefähr sechzig Jahren niedergefallen.

Im hohen Alter beschloß Wittekind auf gar besondere Weise die Anhänglichkeit seiner Angerer zu erproben. Zweien Freunden offenbarte er seine Absicht. Es wurde bekannt gemacht, der alte König Weking sei gestorben und an dem und dem Tage solle er begraben werden. Zur angesagten Stunde kamen denn auch von Nah und Fern die Leidtragenden, so daß die Burg fast die Menge nicht fassen konnte. In einem großen Gemache stand der verschlossene Sarg und um ihn her hörte man von den Gekommenen nur Weinen und Klagen um den geliebten Toten; Jeder war tief betrübt. Da trat Weking plötzlich frisch und fröhlich in das Gemach, bestürzt wich die Menge zurück, denn sie glaubte einen Geist zu sehen; Wittekind redete sie aber freundlich an und erzählte, welche Probe er habe anstellen wollen. Alle Anwesenden machte er zehentfrei und gab ihnen Geschenke, Einer aus der Nähe von Bünde kam nachgelaufen, auch ihm verhieß Weking dasselbe; aber von dem Tage an nannte man ihn Nalop und so heißt der Hof noch bis auf den heutigen Tag. Steinköhler in Rödinghausen war unterwegs und kehrte um, als er hörte, der alte König lebe. Auch er wurde zur Hälfte zehentfrei. Schürmann in Westerenger zog gerade die Schuhe an, um sich auf den Weg nach der Burg zu machen, als er hörte, wie Wittekind die Seinen auf die Probe gestellt habe. Einer seiner Kämpen wurde zinsfrei.

Endlich ist der alte Held am heil. Dreikönigabend – am 6. Januar des Jahres 817, oder wie Einige fälschlich sagen, 807 – wirklich zu seinen Vätern heimgegangen. Er starb aber, wie die Sage geht, in seiner Burg Babilonie am Wesergebirge. Die Sattelmaier trugen den Leichnam im Sarge nach Enger und alles Land, auf welches sie die Füße setzten, wurde frei. In Enger brachte man den Sarg unter großen Ehren in die Kirche, stellte dann die Leiche aus, damit Jeder noch einmal die Züge des alten, geliebten Königs sehen könne, und setzte dann den Sarg unter Thränen von Tausenden von Leidtragenden in einem kleinen Gewölbe am Chore der Engerschen Kirche bei. Die Kirchtür, durch welche der Sarg getragen worden ward, ward zugemauert und ist nie wieder geöffnet worden. Der Ort, wo die Leiche ausgestellt war, heißt noch jetzt die Leichdehl oder Leikdehl. Man bestimmte auch, daß in dem Heiligthum, in welchem der große Sassenheld ruhe, keine andern Gebeine begraben werden sollten, und so ist es auch unverbrüchlich gehalten worden. Neben dem Grabe des Herzogs wurde später ein steinernes Denkmal auf dem Chor hinter dem Altar errichtet und in den obersten Denkstein die Gestalt des alten Helden gehauen. Wittekind liegt in Lebensgröße da, doch ohne Bart und mit kurzen glatten Haupthaaren, das Angesicht nach Morgen gerichtet. Seine aufgesteifte Mütze und der mit weiten Aermeln versehene Mantel, mit welchem die Gestalt umhüllt ist, scheint mit Edelsteinen besetzt gewesen zu sein. In der linken Hand hält er das etwas hervorragende Scepter, die rechte ruht auf der Brust und zeigt den krummen Mittelfinger, wie ihn der König in der That bei seinen Lebzeiten hatte. Die Füße sind mit Schuhen bedeckt, welche vorn spitz zulaufen, aber bis an die Knöchel gehen und fast bis auf die Zehen aufgeschnitten sind. Das Denkmal hat mehrere Inschriften in lateinischer Sprache, rührt aber in seiner jetzigen Gestalt nicht aus seiner Zeit her, sondern Kaiser Karl IV. hat es im Jahre 1377 erneuern lassen, die alte echte Mönchsschrift ist von dem Pastor Hermann Heinrich Wacker, welcher der Kirche von 1679 bis 1715 vorstand, mit gewöhnlichen lateinischen Buchstaben vertauscht worden.

Als Wekings Gebeine noch in Herford waren, hat sich neben denselben auch ein alter Trinkbecher befunden, an Gestalt einem länglichen Tummler ähnlich. Er ist aus einem grünlichen Steine und rings umher mit vergoldetem Kupfer eingefaßt. Auf dem Rande ist folgende Inschrift eingegraben: Munere tam claro ditat non Africa raro (Also herrliche Gaben wir selten von Afrika haben). Zu dem Becher gehört eine sehr alte gelblich eingelegte Kapsel von fremdem Holze; auf dieser steht: Visdai de Africa rex (König Visdai aus Afrika). Dies ist Weking’s Rundbecher gewesen, ein Geschenk von Kaiser Karl dem Großen. Deswegen ist er aber aus einem grünen Steine gemacht, weil dieser bekanntlich kein Gift vertragen kann.

Um das Andenken an König Weking wach zu erhalten, wurde angeordnet, daß jährlich am Sterbetage des Helden, am 6. Januar, eine Begräbnißfeier und ein Trauergottesdienst gehalten werden sollte. Drei Tage vorher läutete man Mittags eine Stunde, am Sterbetage klangen die Glocken um neun Uhr. Dann versammelten sich die Lehrer von Enger mit ihren Schülern, die Gemeindeglieder und besonders die Armen. Nun hielt man den Gedächtniß-Gottesdienst. Am Schlusse läutete der Küster zur Senkung und dann verteilte man die Wekings-Spende. Die Armen erhielten Brod und Wurst und die Schüler Semmeln, welche von ihrer Form Tempelstüten oder Timpen hießen. Ein einfaches Mahl der Angesehenen des Orts machte den Beschluß. Manche dieser Gebräuche haben längst aufgehört, nur die Kinder erhalten noch die Semmeln, und damit alle Schüler des Kirchspiels Enger daran Theil nehmen können, bewilligte die preußische Regierung einen jährlichen Zuschuß von 40 Thalern.

Inhaltsverzeichnis

Widukind in der Babilonie

Zwischen Lübbecke und Holzhausen, oberhalb des Dorfes Mehnen, liegt nahe an der Bergreihe ein Hügel, der die Babilonie genannt wird. Hier hatte einst König Weking eine mächtige Burg. Diese ist nun versunken, der alte König aber sitzt darinnen und harret, bis seine Zeit kommt. Es ist eine Thür vorhanden, welche von Außen in den Hügel und zu dem Palaste führt. Allein nur selten geschieht es, daß einer, ein besonders Begünstigter, sie erblickt.

Es mögen jetzt hundert Jahre sein, daß ein Mann aus Hille, Namens Gerling, welcher auf der Waghorst Schäfer war, seine Heerde an dem Mehner Berge weidete. Da sah er an dem Hügel der Babilonie drei fremde lilienartige Blumen und pflückte sie. Dennoch fand er des folgenden Tages gerade an derselben Stelle wieder drei solche Blumen. Er brach auch diese und siehe, am andern Morgen waren abermals an derselben Stelle wieder drei gleiche Blumen aufgeblüht. Als er nun diese gleichfalls genommen und sich dann in der Schwüle des Mittags hingesetzt hatte, so erschien ihm eine schöne Jungfrau und fragte ihn, was er da habe, und machte ihn aufmerksam auf einen Eingang in den Hügel, welchen er sonst nie gesehen und der mit einer eisernen Thür verschlossen war. Sie hieß ihn nun mit den Blumen das Schloß berühren. Kaum that er das, so sprang das Thor auf und zeigte einen dunkeln Gang, an dessen Ende ein Licht schimmerte. Die Jungfrau ging voran, der Schäfer folgte und gelangte durch das Dunkel in ein erleuchtetes Gemach. Gold und Silber und allerlei kostbares Geräth lag da auf einem Tisch und an den Wänden umher. Unter dem Tische aber drohte ein schwarzer Hund, doch als er die Blumen sah, ward er still und zog sich zurück. Im Hintergrunde aber saß ein alter Mann und ruhte und das war König Weking. Als der Schäfer das Alles angesehen, sprach die Jungfrau zu ihm: »Nimm, was Dir gefällt, nur vergiß das Beste nicht!« Da legte er die Blumen aus der Hand und erwählte sich von den Schätzen, was ihm das Beste schien und was er eben fassen konnte. Und nun eilte er das unheimliche Gewölbe zu verlassen. Nochmals rief ihm die Jungfrau zu: »Vergiß doch das Beste nicht!« Er blieb stehen und blickte zurück und sah umher, welches denn wohl das Beste sei, auch nahm er noch Einiges, was besonders köstlich schien. An die Blumen dachte er aber leider nicht, sondern ließ sie auf dem Tische liegen. Und diese waren doch das Beste, denn sie hatten ihm ja den Eingang verschafft. Ueberzeugt, gewiß nicht das Beste vergessen zu haben, ging er mit Schätzen beladen durch die dunkle Höhle zurück. Eben trat er an das Tageslicht hervor, als das Eisentor mit solcher Gewalt hinter ihm zuschlug, daß ihm die Ferse abgeschlagen ward.

Dieser Schäfer liegt in der Kirche zu Hille auf dem Chore unter einem großen Steine begraben. Er hat nach diesem Ereignisse viele Jahre in großem Wohlstande gelebt. Allein den Eingang hat er nie wieder erblickt und seine Ferse ist nie wieder heil geworden, so daß man ihn bis an seinen Tod nie anders als mit einem niedergetretenen Schuh an diesem Fuße gesehen hat. Er hat auch manche Vermächtnisse hinterlassen, unter andern auch eins für die Kirche zu Hille. Die Nachkommen seiner Erben besitzen aber noch gegenwärtig den Aswenhof in Hille, welcher von ihm angekauft worden ist.

Widukinds silberne Wiege im Reineberge

Der Reineberg liegt südöstlich dicht über dem Städtchen Lübbecke und ist einer der niedrigsten Gipfel in der Kette des Süntels. Einst hat eine Burg darauf gestanden, jetzt sind aber auch selbst die letzten Ueberreste derselben verschwunden und nur ein verschütteter Brunnen und ein paar alte schirmende Linden sind als letzte Erinnerung geblieben. Wahrscheinlich ist diese Burghöhe ein uralter Edelsitz gewesen und wohl neben der Babilonie der zweite bedeutende Punkt von jener großen Besitzung Weking’s. So erklärt sich die dort sehr verbreitete Sage, daß im Reineberge in einem unterirdischen Gewölbe König Weking’s silberne Wiege stehe. Oft ist der Eingang schon gesucht, allein bisher noch nicht gefunden worden.

Zweikampf Wittekinds mit Karl dem Großen

In einer Lebensbeschreibung der Königin Mathilde, der Gemahlin des deutschen Königs Heinrich I., im zehnten Jahrhundert von einer Nonne zu Nordhausen verfaßt, wird erzählt, Karl habe zuletzt mit Wittekind bei den Steinen im Hone einen Zweikampf bestanden, wo bestimmt war, daß das gesammte Kriegsvolk unbedenklich dem gehorchen solle, dem das Geschick den Sieg gewähre. Nun griffen sie einander an und stritten lang und wacker, bis endlich gerührt durch der Christen Thränen der Herr seinem Streiter den Sieg verlieh. Des Irrthums ledig kam aber Wittekind gläubig und reumüthig zur Erkenntniß der Wahrheit, und wie er vordem ein erbitterter Feind und Vernichter der Kirche gewesen war, so erschien er nunmehr als der christlichste Verehrer der Kirche und Gottes, dergestalt, daß er selbst verschiedene Zellen voll thätigen Eifers errichtete und mit gar vielen heiligen Reliquien versorgte. Unter ihnen war aber die Kirche zu Engern die älteste.

Wittekinds Taufe.

Von Osnabrück schickte Karl einen Boten an Wittekind und ließ ihm Verzeihung anbieten, wenn er sich taufen lasse und seine Götter abschwöre. Dies nahm Wittekind an. Da zog König Karl mit seinem Heere nach Garhausen und Wittekind kam mit seinem Gefolge herab von der Wiecksburg und ließ sich taufen in der reinen Quelle der Burg gegenüber am rechten Ufer der Nette. Diese Quelle wird seitdem die Dreifaltigkeitsquelle genannt und ein Bild der heiligen Dreifaltigkeit sprudeln hier dreierlei Wasser zu einem einzigen Borne vereinigt aus drei verschiedenen Quellen. Nach einer andern Erzählung soll aber Wittekind in der Kirche zu Belm aus dem großen Taufsteine getauft sein und dem Ort den Namen Betlehm gegeben haben, um dadurch anzudeuten, daß er dort im heiligen Geiste wiedergeboren sei, gleichwie Christus zu Betlehem geboren wurde.

Wittekinds Grab am Gablin und zu Enger.

Auf dem Gablin zu Hunterort im Kirchspiel Wersen sind noch alte gewaltige Schanzen. Sechs Gräben und sechs Wälle ziehen sich von Süden nach Norden quer über den Berg zu beiden Seiten herab bis in die Niederung und theilen denselben in eine östliche und westliche Hälfte. An der östlichen Abdachung des Berges liegen sechs große Urnenhügel und eine Brandstätte für die Toten. Am nördlichen Ende befinden sich die Trümmer eines zerstörten Steindenkmals im Fahrwege und nordöstlich davon an dem nahgelegenen Rothenberge ein großer Opferstein mit 12 Decksteinen von 24 Steinsitzen umgeben. Eine Viertelstunde davon in Halen ist abermals ein solches Denkmal mit fünf Decksteinen und in der Stroth, bei Bühren, bei Barenteich, auf der Evers- und Nettheide sind unzählige Totenhügel, von denen noch jetzt einer in der Stroth mit Steinen versehen ist. Davon erzählt man, daß sie von drei Heidenkönigen herrühren sollen, welche Hünen waren und vielen Krieg führten. Der eine von ihnen habe Wittekind geheißen und liege in einem goldenen Sarge unter den großen Steinen am Rothenberge. Nach Andern dagegen ruht Wittekind zu Enger in der Kirche des h. Dionysius, wo sein Grab noch jetzt gezeigt wird und wo die Königin Mathilde, seine Enkelin, auf ihren Erbgütern zu seinem Andenken ein Chorherrnstift gründete, und auch das Geläute am h. Dreikönigsabend, mit der sogenannten Wittekindsspende, welche in der Austheilung von Timpenstuten besteht, gründete.

Original: Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des preußischen Staates

Schreibe einen Kommentar