Sagen rund um Merseburg

Inhaltsverzeichnis

Von der heil. Jungfrau Theodica

 Im Kloster St. Petri zu Merseburg ist in der Mitte der Kirchhalle unter einem breiten Grabe beigesetzt die heil. Jungfrau Theodica, welche Einige für eine Schwestertocher Kaiser Heinrich IV. und Tochter des aus Ungarn vertriebenen Königs Salomon (1073), Andere für ein Kind Königs Rudolph, Herzogs von Schwaben, der in der Schlacht bei Hohenmölsen die Hand verlor und im Dom zu Merseburg begraben liegt, halten. Dieselbe ist zur Zeit des Bischofs Wernher von Merseburg († 1103) aus der Fremde hier angelangt und hat sich bei armen Leuten in der Altenburg zu Merseburg zur Herberge begeben, ist auch vom gemeinen Volke Jungfer Eudica genannt worden. Darnach sie denn durch Bitten erlangt hat, daß ihr vergönnet worden, am Kloster St. Petri hinter der Kirche gegen Mitternacht in einem Winkel auf dem alten Kirchhofe eine kleine Hütte von Steinen, Erde und Rasen zu bauen, nach deren Vollendung sie darin ein geistlich, strenges, züchtiges, gottesfürchtiges Leben geführt, den Gottesdienst in der Dom- und Klosterkirche sehr fleißig besucht, und so viel gefastet, daß sie ganz schwach und mager geworden; um den bloßen Leib hat sie einen eisernen Gürtel, auch an den Armen und Beinen auf der bloßen Haut eiserne Ringe getragen, welche man nach ihrem Tode, weil solche zum Gedächtniß im Kloster als Heiligthum aufgehoben wurden, durch einen Schmied hat aufbrechen lassen. Es sind aber diese Dinge auch nachher, wie schon Alles lutherisch war, doch noch vorhanden gewesen. Warum sie gerade hierher gekommen, darüber erzählt man, sie habe ihr Leben bei dem Grabe ihres Vaters zubringen wollen und deshalb sei sie auch als eine Laienschwester des Klosters St. Petri auf Befehl des Bischofs Wernher durch seine Mönche mit Essen, Trinken und der nothdürftigen Kleidung versorgt worden.

Der Abgott Zuttiber

Die Ureinwohner der Stadt Merseburg haben heidnischen Göttern gedient, so dem Mars und der Venus, deren Tempel hier gestanden haben und von denen der erstere der Stadt den Namen gegeben hat: Martisburgum. Sie haben auch die Sonne, den Mond und das Feuer angebetet, davon zeugt noch der Name des Dorfes Lunau oder Leina. Sie haben auch die Isis als eine Erfinderin des Getreides und guten Bieres verehret, so wie die Vesta, von der das Dorf Vesta an der Saale den Namen hat. Sie haben ferner dem Abgotte Irmensaul gedient, der vorzeiten an dem Orte des St. Petriklosters seinen Anbetern sich dargestellt hat. Insonderheit haben aber die Bürger zu Merseburg und die Landschaft um diese Stadt den Zuttiber als einen Wald- oder Holzgötzen geehrt und demselben einen Eichenwald geheiligt, darin Niemand bei Verlust seines Lebens einen Baum noch Ast abhauen durfte, nicht weit von der hohen Brücke, dahin zu gewisser Zeit des Jahres viele Wenden und andere Heiden von nahen und fernen Orten zusammengekommen und dem Zuttiber geopfert, auch denselben angebetet haben. Darzu waren gewisse Priester bestellt, die ihre sonderbaren Ceremonien bei den Opfern gehalten. Solcher Eichenwald nebst dem Götzen ist bis auf die Zeit Wyberti III. Bischofs zu Merseburg im Stande gewesen, welcher im Jahre 1008 diesen Wald und Abgott niederhauen und verbrennen ließ. An derselben Stelle hat er aber die Kapelle des heil. Romanus gebaut und von dem genannten Eichwalde hat man hernach auf lange Zeit bis tief in das 16. Jahrhundert hinein etliche lange, dicke eichene Bäume, Stöcke und Stifte in den Ufern der Saale, zumal wenn das Wasser hell war, stecken sehen.

Die wunderbare Glocke

Auf dem Dome zu Merseburg befindet sich die sogenannte Schnurre, d.h. die kleinere der zwei großen Glocken, auf welcher auch die Uhr schlägt. Dieselbe soll durch ihr Anschlagen Feuersbrünste dämpfen und heranziehende Feinde abhalten können. So sagt wenigstens ihre Inschrift: Si Gloriosa (dies ist ihr Name) sonat, turbor procul hostis et ignis (Wenn Gloriosa schlägt, wird Feind und Feuersbrunst vertrieben.)

Die Schildkröte im Dom

 Unter Bischof Hunold VI., dem Bischof von Merseburg (1040-50), ist das Gewölbe des Chores in der Domkirche zu Merseburg eingestürzt, denn eine große Schildkröte hat sich einen Weg durch die Fundamente desselben bahnen wollen und mit ihrem Rücken den Boden dermaßen in die Höhe getrieben, daß die Pfeiler eingestürzt seien. Ihr Schild ist allerdings noch im Dome aufgehangen, allein es ist nicht viel größer als das einer gewöhnlichen Landschildkröte.

Der fliegende Krebs

Im Sommer des Jahres 1682 entstand aus göttlichem Verhängniß durch zweier französischer Zauberer Teufelskünste eine Seuche oder Viehkrankheit an Pferden und Rindvieh, die einen Strich 4 Meilen breit einnahm und täglich 2 Meilen fortrückte. Sie ward der fliegende Krebs genannt. Das Vieh bekam unter der Zunge gelbe Flecken oder Blätterlein, an andern Orten aber kleine Wunden dabei, die mußten mit einem Kratzer von feinem Silber aufgeritzt und hernach mit Salz gerieben und mit Essig gewaschen und mit Honig bestrichen werden, so wurden sie wieder hergestellt. Drei Tage brachten sie damit zu, wo aber nicht Hilfe geschah, starb das Vieh hinweg. Der Strich ging über Dölitz, Keischberg, Altranstädt, Herburg und so weiter durch das Stift, doch ist nicht viel daran gestorben, sondern fast Alles curirt worden.

Der schädliche Hexenrat

Den 17. September des Jahres 1521 hat es sich zu Dölkau im Stifte Merseburg begeben, daß einem Bauer aus seinem Wandschränklein eine Summe Geldes, die er zu Bezahlung zweier erhandelten Aecker hat anwenden wollen, hinweggekommen ist, deswegen er hingegangen ist und eine Hexe unweit Halle um Rath gefragt hat. Diese spricht, der Knecht habe es ihm entwendet und auf dem Heuschuppen versteckt, unter der andern Latte auf der linken Hand solle er suchen, es würden zwei Bund Weizenstroh darüber liegen. Der Bauer verspätete sich, also daß er langsam heimkommt; die Begierde aber, sein Geld zu finden, treibt ihn, daß er eine kleine Lampe heimlich anzündet und in den Hut stellt, auch damit, indem das Weib, Kinder und Gesinde speiste, hinaufsteigt, die Lampe auf den Hut setzt, das Weizenstroh bei Seite werfend. Darüber hat er unversehens das Licht umgestoßen und durch die verwahrlosete Entzündung sich sammt drei Nachbarn um Haus und Hof gebracht. Er aber mußte noch dazu drei Jahre das Land meiden und die Hexe kam zu dem Orte, der ihr gebührte, nämlich auf den Holzhaufen, also daß sie ferner kein Unglück stiften konnte.

Die heilige Kunigunde

Es hat der Kaiser Heinrich II. oder der Lahme seine Gemahlin, die Kaiserin Kunigundis des Ehebruchs beschuldigt. Dieselbe aber hat ihre Keuschheit mit dem Tragen von glühenden Pflugschaaren bewiesen, indem sie sagte: »Ebenso unschuldig ich Eures Leibes bin, ebenso unschuldig bin ich auch an allen andern Männern und beweise meine Unschuld mit den glühenden Pflugschaaren, die sollen meinem Leibe nicht schaden.« Darauf hat sie ein glühendes Pflugschaar nach dem andern mit bloßen Händen herausgenommen und dieselben in Gegenwart des Kaisers, wie auch seiner Hofbedienten und vielen Volkes glühend bei Seite getragen, so ihr im Geringsten nicht geschadet, durch welches Mirakel der Kaiser bewogen worden ist, ihr auf den Knieen eine Abbitte zu tun. Diese Historie ist zu Merseburg in der Domkirche am Eingange unter dem Glockenthurme zur rechten Hand oder an der Seite gegen Mittag in Stein gehauen zu sehen. In der Domkirche wird aber in demselben Gemach, wo sich die abgehauene Hand Rudolphs von Schwaben befindet, der Mantel, den die heil. Kunigundis damals getragen, aufbewahrt und man sagt, daß wenn eine Frau unfruchtbar sei und nach einem Gebete zu der Heiligen denselben berühre, dann segne sie Gott und sie bekomme Kinder. Zum ewigen Gedächtniß ist am Eingange der Domkirche zur rechten Hand eine Frau mit einem Pflugschaar in der Hand in Stein gehauen zu sehen und dies ist die Kaiserin.

Der Bischof und die Katze

Im Schlosse zu Merseburg befindet sich ein Bild, welches einen Bischof mit einer schwarzen Katze vorstellt, desgleichen ein zugemauertes Fenster und unweit der Stadt einen Berg, der den Namen Katzenberg führt. Es soll dasselbe folgenden Ursprung haben.

Der Bischof Michael in Merseburg hatte eine solche Vorliebe für die Katzen, daß er sich deren eine große Menge und von allen Farben hielt und sich von ihnen auf seinen Spaziergängen begleiten ließ. Eines Tages reiste er nach Magdeburg und hörte in dem nächsten Walde ein ganz seltsames Geräusch und entdeckte endlich eine große Menge Katzen auf einem kleinen Berge versammelt, der daher noch bis heute der Katzenberg heißt. Diese Katzengesellschaft machte ihm so viel Vergnügen, daß er den Wagen halten ließ, eine Zeit lang ihrem Treiben zusah und endlich scherzend ihnen zurief: »Seid Ihr Alle hier versammelt? Fehlt keine?« »Alle«, antwortete ihm ein alter Kater, »bis auf die Katze des Bischofs, die wir noch erwarten.« Als der Bischof von seiner Reise zurückgekehrt war, lockte er seine schwarze Katze, die er ihrer seltsamen Sprünge und Kunststücke wegen gern um sich hatte, zu sich, streichelte sie und erzählte ihr, was er auf dem Berge gesehen, und fragte sie, warum sie nicht Theil an der großen Katzenversammlung genommen habe? Auf diese Rede fuhr die Katze mit wildem widrigem Geschrei zum Fenster hinaus durch die Luft und kehrte nie wieder zum Bischof zurück.

Eine frühere Sage erzählt, daß Thilo von Trotha, der Erbauer des Schlosses, einst einen Boten auf den Harz gesendet habe. Dieser erzählte bei seiner Rückkunft, daß er in der Nacht vor dem ersten Mai auf einem Baume des Blocksberges zwei Katzen gesehen habe, die gegen einander geäußert hätten, daß sie längst oben zum Tanze sein könnten, wenn Thilo’s Katze nicht so lange auf sich warten ließe. Auf diesen Bericht des Boten hob Thilo drohend die Hand gegen seine Katze, die neben ihm auf dem Stuhle saß und sagte halb ernst, halb scherzend: »Ei, ei, muß ich solche Dinge von Dir hören!« Noch hatte Thilo seine Worte nicht geendet, als die Katze in einem Sprunge durchs Fenster fuhr und einen abscheulichen Geruch hinterließ. Sie kehrte nie wieder zurück und Thilo ließ das Fenster vermauern.

Der Todesstuhl

 In dem Dome zu Merseburg soll in früherer Zeit vor dem Tode eines Domherrn nächtlich ein großer Lärm und darunter ein sehr heftiger Schlag auf den Stuhl desjenigen, der bald sterben sollte, gehört worden sein. Die Wächter, welche Tag und Nacht wegen vieler in der Kirche befindlichen Kleinodien gehalten wurden, machten solches dem Inhaber des Stuhles bekannt, der sich nun drei Wochen lang auf seinen gewissen Tod vorbereiten konnte.

Der Rabe

An vielen Häusern der alten Stadt Merseburg, z.B. in der St. Gotthardsgasse sieht man noch heute über den Türn einen Raben in Stein gehauen, der einen Ring im Schnabel hält. Den Grund zu diesen Bildern soll aber folgende Begebenheit gegeben haben.

In den Jahren 1466 bis 1514 war Thilo von Trotha Bischof von Merseburg. Dies war ein strenger jähzorniger Mann, der sich zu seinem Vergnügen einen Raben hielt, der ihm durch sein lustiges Gebahren und Schwatzen viel Spaß machte. Einst war nun dem Bischof ein kostbarer Ring weggekommen, den er angeblich von seinem Busenfreunde, dem Bischof Gerhard von Meißen, zum Geschenk erhalten hatte. Nun hatte der Bischof einen schon im Greisenalter stehenden, seiner Rechtschaffenheit wegen allgemein geachteten Kammerdiener und einen etwas jüngern Leibjäger. Letzterer trug aber schweren Groll gegen erstern im Herzen, weil er glaubte, daß jener ihn verhindere, so wie er es wünsche in der Gunst seines Herrn zu steigen. Derselbe hatte dem Raben verschiedene Worte gelernt, unter andern auch den Spruch: »Hans Dieb«, und als nun der Bischof, nachdem er den Diebstahl erfahren, außer sich vor Zorn alle seine Leute streng befragte, um den Dieb herauszubekommen, da schrie der Rabe auf einmal: »Hans Dieb, Hans Dieb!« Unglücklicher Weise hieß der alte Kammerdiener Johannes und der Bischof hielt den Spruch des Vogels gerade in diesem Augenblick für ein Gottesurtheil; trotz alles Leugnens und Betheuerns seiner Unschuld ward der Greis ergriffen, ins Gefängniß geworfen, vor das bischöfliche Gericht gestellt und lediglich auf den durch das Vogelgeschrei erregten Verdacht hin verurteilt und hingerichtet. Einige Zeit nachher aber trug es sich zu, daß bei einem heftigen Sturme das Nest des Raben vom Turme herabstürzte; darin fand sich mancherlei güldenes und silbernes Kleinod, aber auch des Bischofs Ring, um den der fromme Kammerdiener unschuldig hingerichtet worden war. Das traf des Bischofs hartes Herz wie ein Blitzstrahl und es ergriff ihn eine bittere Reue wegen seines Jähzorns, der ihn zu dem ungerechten Urtheil veranlaßt hatte. Er legte also sein bisheriges Familienwappen ab und nahm ein neues an, d.h. er setzte in das Schild einen Raben, der einen Ring im Schnabel trug, und oben aus der Krone hoben sich als Helmkleinod zwei Arme und Hände, deren Finger einen Ring faßten. Dieses Wappen ließ der Bischof überall anbringen, damit es ihn stets an seine Unthat erinnern möge und zu steter Buße mahne, innen und außen am bischöflichen Palast, im Dome, an den Mauern, in den Zimmern, auf den Gängen, auch an vielen Häusern der Stadt. Dasselbe Wappen und über demselben das Bild des hingerichteten Kammerdieners mit aufgehobenen Händen ohne Kopf erblickt man auch an dem messingenen Grabdenkmale, welches ihm im Dome zu Merseburg errichtet worden ist. Zum ewigen Andenken an diese Begebenheit wird noch heute ein Rabe in einem stattlichen Käfig auf dem äußern Schloßhofe zu Merseburg gehalten. Der Wärter desselben genießt dafür eine Pension von 12 Scheffeln Korn und 12 Thalern Geld, muß aber dafür, wenn der Rabe stirbt, einen andern anschaffen.

Original: Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des preußischen Staates

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