Sagen rund um Hildesheim

Inhaltsverzeichnis

Kaiser Ludwig baut Hildesheim

Da wo jetzt Hildesheim steht, war früher Alles »Wool«, vor dem Dammtore und bei St. Michaelis ist noch Holzung gewesen, als die Stadt schon erbaut war; darum heißt die Straße bei St. Michaelis noch heute »der Wool.« Nun traf es sich, daß gerade dieser Wool vom deutschen Kaiser Ludwig oft des Jagens wegen besucht ward. Einst begab es sich, daß er auch hier jagte, er verfolgte hitzig einen weißen Hirsch, und ob er wohl ein sehr schnelles Roß hatte, so war doch der Hirsch noch flinker, er lief über Berg und Thal, sprang über die Innerste und schwamm durch, der Kaiser immer hinterdrein, sprang auch ins Wasser, verlor aber dabei sein Pferd und seine Hunde; der Hirsch entkam und der Kaiser schleppte sich müde und matt noch eine Strecke weiter unter einen hohlen Baum um auszuruhen. Er führte aber allezeit ein Marienbild an seinem Halse mit sich, er legte dies inzwischen auf einen Stein, und als er es wieder an sich nehmen wollte, vermochte er es nicht von der Stelle zu bringen. Da fiel der Kaiser auf die Kniee und betete zu Gott, daß er ihm kund thät, ob er einer Missethat schuldig sei, deswegen das Bild nicht von dem Steine weichen wolle? Da hörte er eine Stimme rufen, die sprach: »So ferne und weit ein Schnee fallen wird, so groß und weit sollst Du einen Thumb bauen, zu Marien Ehren!« Und alsbald hob es an vom Himmel zu schneien auf die Stätte. Da sprach Ludwig: »Dies ist Hilde Schnee und es soll auch Hildeschnee heißen.« So weit nun der Schnee gefallen war, stiftete er einen Kirchenbau, unserer lieben Frauen zu Ehren, und Günther war der erste Bischof, den er darin bestätigte. Also bekam der Dom und die Stadt den Namen nach dem Schnee, der »do hilde (schnell)« fiel, das ward genannt Hildeschnee und dann Hildesheim.

Der Rosenstrauch

Als Ludwig der Fromme in der Winterzeit bei Hildesheim jagte, verlor er sein mit einer Reliquie angefülltes Kreuz, das ihm vor allen lieb war. Er sandte seine Diener aus, um es zu suchen, und gelobte, an dem Orte, wo sie es finden würden, eine Kapelle zu bauen. Die Diener verfolgten die Spur der gestrigen Jagd auf dem Schnee, und sahen bald aus der Ferne mitten im Wald einen grünen Rasen und darauf einen grünenden wilden Rosenstrauch. Als sie ihm näher kamen, hing das verlorene Kreuz daran; sie nahmen es und berichteten dem Kaiser, wo sie es gefunden. Alsobald befahl Ludwig, auf der Stätte eine Kapelle zu erbauen und den Altar dahin zu setzen, wo der Rosenstock stand. Dieses geschah, und bis auf den heutigen Tag grünt und blüht der Strauch und wird von einem eigens dazu bestellten Manne gepflegt. Er hat mit seinen Aesten und Zweigen die Rundung des Doms bis zum Dache überzogen.

Der Ursprung des goldenen Domturms

Herzog Magnus von Braunschweig fiel im Jahre 1367 mit einem großen Heere und mächtigen Bundesgenossen in das Stift Hildesheim und verheerte das ganze Land aufs Furchtbarste. Da sammelte der Bischof Gerhard seine streitbaren Männer um sich und zog auf sein Recht und die heil. Jungfrau vertrauend muthig dem bei weitem überlegenen feindlichen Heere entgegen. »O, heilige Jungfrau«, rief der Bischof als er an der Spitze seiner Mannen einherzog, »heute kommt es auf Dich an, ob Du unter einem Strohdache oder unter einem goldenen Dache wohnen willst; siegen die Feinde, so werden sie den Wohlstand der Stadt und der Kirche vernichten und wir werden nicht mehr die Mittel haben, Deinen Tempel würdig zu schmücken, giebst Du uns aber den Sieg, so fällt großes Gut in unsere Hände, und dann sollst Du unter einem goldenen Dache wohnen!« – Als nun die Truppen des Bischofs in der Gegend von Dinclar den übermächtigen Feind in seiner Siegesgewißheit jubelnd heranrücken sahen, da wurden Viele verzagt, aber Gerhard richtete ihren Muth wieder auf und rief, indem er seinen linken Aermel schüttelte: »Lieben Leute trauert nicht, hier habe ich noch tausend Mann in meinem Aermel!« Der Bischof hatte nämlich das größte Heiligthum der Stadt, das von Ludwig dem Dome vermachte Reliquiengefäß in seinem Aermel. – Nach diesen Worten ihres Führers waren die Krieger gewiß, daß die Hilfe der heiligen Jungfrau mit ihnen war, gewaltig andrängend setzte das kleine Häuflein in den mächtigen Feind und nach kurzem Kampfe bedeckten 1500 Feinde, unter ihnen viele Ritter und Edele die Wahlstatt. Was von den Feinden noch auf den Beinen war, suchte sein Heil in der Flucht und das ganze Lager fiel mit seinen Schätzen in die Hände der Hildesheimer. Von diesem Gute nun ließ der Bischof, seinem Gelübde getreu, das goldene Dach machen, welches noch heute den östlichen Domthurm schmückt

Das Steinigen des Jupiter auf dem kleinen Domhof

Zum Andenken der abgeworfenen Irmensäule wurde zu Hildesheim seit der Mitte des 14. Jhdts. bis nach dem Jahre 1742 regelmäßig jährlich am Sonnabend vor Lätare, auf dem kleinen Domhofe folgendes Schauspiel gehalten. Es kommt an diesem Tage dahin ein besonders dazu bestellter Bauersmann, der bringt einen langen hölzernen Klotz, eines Mannes hoch, und dabei ein ausgeschnitztes Stück Holz, in Gestalt eines Kegels mit sich, setzt das große Holz auf die Erde und das kleine kegelförmige oben darauf. Dann kommen ein Haufen Jungen und Buben zusammen, werfen mit Steinen und Stücken, daß sie den Kegel, wodurch der Götze der alten Heiden bedeutet wird, herabwerfen mögen. Dann kommen Andere und setzen den Kegel wieder darauf, gleichwie auch die Sachsen ihren niedergeworfenen Götzen oftmals wieder auf- und angerichtet haben, bis endlich Alles in Stücken geworfen oder weggeschleppt worden. Beim Steinigen des Jupiter wurde aber von den Schülern des ehemaligen Jesuitencollegii so viel Unfug getrieben, daß nicht selten schwere Verwundungen vorfielen. Im Jahre 1743 ward also die ganze Sitte abgeschafft und auch die Holzlieferung in eine Geldrente von 19 Gr. 4 Pf. verwandelt.

Der Mairitt

Eine alte bürgerliche Gewohnheit war der sogenannte Mairitt zu Hildesheim, welcher am jedesmaligen Pfingstabend vorgenommen zu werden pflegte. Es ward vorher ein junger Bürger zum Maigrafen des Jahres vom Riedemeisteramte vorgeschlagen und vom Magistrat aus etlichen erwählt und bestätigt. Derselbe ward am angegeben Tage von seinen Verwandten und Mitbürgern zwischen den beiden Herrn Riedemeistern und vorreitendem Stallmeister und reitenden Dienern hinaus nach Uppen und der Ilsede begleitet, woselbst die Holzgeschwornen der benachbarten Dorfschaften denselben ein Fuder Mai, soviel als vier Pferde auf einmal aus dem Holze ziehen und fahren können, zu hauen anweisen; dabei aber ihre alte Holzgerechtigkeit streng observiren, also daß dieselbe um einen oder den andern Exceß harte Strafe dictiren. Wenn nun der Mai aus dem Holze heraus und zu Uppen in dem Passe angefahren ist, so wurde daselbst von dem Maigrafen den committirenden Freunden, Bürgern, Fuhrleuten und dem Convoi von der Stadtsoldateska, welche da paradirte und Salven gab, eine Collation an Essen und Trinken präsentirt, bis etwa Nachmittags zu drei oder vier Uhr derselbe Maigraf mit einem Maikranz am Halse geziert, wieder unter Lösung des Geschützes und Abblasung der Musikanten hereinbegleitet, der Mai unter die Herren des Raths und nächsten Freunde theils auch in Kirchen verteilt und herumgeschickt wurde. An dem Tage nach den Feiertagen ward der Maigraf von dem Magistrat von dem Rathhause unter Trompeten- und Paukenschall auf den Rathsweinkeller geführt und dort bewirthet. Dieser Mairitt ist indessen, nachdem er zuletzt nur noch alle 7 oder gar nur alle 14 Jahre abgehalten worden war, im Jahre 1782 gänzlich abgeschafft worden.

Rettung durch Tote.

Im Dome zu Hildesheim sieht man über einer der nördlichen Eingangstüren ein schauerliches Gemälde; ein Geistlicher im bischöflichen Gewande steht predigend auf einer Kanzel und ringsumher erheben sich die in der Kirche begrabenen fleischlosen und halbverwesten Toten aus den Gräbern. Das Bild erzählt eine Begebenheit, die einst in der Kapelle zu Luzienvörde geschehen ist.

Ein frommer und heiliger Bischof zu Hildesheim hatte vor seinen aufrührerischen Unterthanen aus der Stadt flüchten müssen. In dem benachbarten Kirchlein zu Luzienvörde suchte er Schutz vor den Verfolgern und bestieg die Kanzel, um die nachdrängenden Rebellen noch einmal eindringlich von ihrem bösen Tun abzumahnen. Die Rebellen aber richteten ihre Gewehre auf den heiligen Mann und da dieser unter den Lebenden Keinen sah, der zu seiner Hilfe bereit war, so rief er: »Ihr Toten, steigt aus Eueren Gräbern und steht mir bei!« Kaum war das Wort gesprochen, da that Gott ein Wunder, und zum Grausen der bösen Verfolger erhoben sich unter ihren zitternden Füßen die Grabsteine und drohend streckten sich fleischlose Arme den Rebellen entgegen. Da flüchteten diese eilends aus der Kirche, baten unter vielen Thränen den Bischof um Verzeihung und führten ihn im Triumph in die Stadt zurück.

St. Vitus

Ein armer Tagelöhner, der oft den Christus bei Prozessionen und geistlichen Schauspielen vorgestellt hatte, und überhaupt ein sehr frommer Mann war, starb und hinterließ seinem Sohne, außer einem alten Schubkarrn und ein Paar wackligen Stühlen und Tischen nichts als ein hölzernes Bild vom h. Veit. Den heiligen Vitus, der nicht von dem Christenglauben hatte lassen wollen, hatten die grausamen Heiden dazu verdammt, sich lebendig in einen Kessel voll siedenden Oels zu stellen. So war denn der »Sünte Vit«, den der Tagelöhner seinem Sohne hinterließ, auch in Holz abgebildet und seine Füße standen in einem großen Klotz, der wie ein Kessel gestaltet war. Der Sohn war indeß lange nicht so fromm als der Vater, er warf den heiligen Veit als ein nutzloses Ding in den Stall und gedachte ihn im Winter als Feuerholz zu verwenden. An einem kalten Wintertage wollte er denn auch seinen Vorsatz ausführen, legte den heiligen Veit auf den Sägebock und setzte die Säge an, um ihm zuerst den Klotz von den Füßen zu sägen. Das sah eine arme Frau, welche mit in dem Hause wohnte, und schrie den gottlosen Menschen an, »ob er sich denn nicht der Sünde fürchte, er solle einhalten, sie habe zwar selbst nichts übrig, aber sie wolle ihm doch vier Mariengroschen für den Sünte Vit geben.« Das ging der Mann ein und verkaufte den Heiligen. Die Frau trug den Gemißhandelten in ihre Stube und sah zu ihrer Betrübniß, daß das eine Bein bereits durchgesägt war. Sie holte nun Leim herbei, um den Schaden wieder gut zu machen, aber als sie an dem Beine drückte und bog, da brach auf einmal der ganze Klotz ab, rollte mit heftigem Gepolter durch die Stube und o Wunder! Hunderte von Goldstücken rollten aus seiner Höhlung hervor. Nun wurde die Frau steinreich. Den h. Vitus aber ließ sie vergolden und ihn statt des hölzernen Kessels einen ganz silbernen machen.

Die Entstehung des Bernwardkreuzes

Der h. Bernward saß in einem Turmgemach der von ihm erbauten Michaeliskirche und arbeitete an dem schönen Kreuze, welches noch heute vom ihm im Dome zu Hildesheim aufbewahrt wird. Er dachte darüber nach, wie er einen dreifachzersplitterten Spahn vom Kreuze Christi, welchen ihm seinem Lehrer der Kaiser Otto geschenkt hatte, so in vier gleiche Theile zerlegen könne, daß jeder Arm des Kreuzes einen Theil der kostbaren Reliquie enthielte. Da legte auf einmal eine unsichtbare Engelshand den vierten Theil des Spahnes in seine Hände, so daß er nun ein gleiches Stück für jedes Ende des Kreuzes hatte, wie dasselbe noch jetzt beschaffen ist.

Die Schlange mit der goldenen Krone

Lange vor der westphälischen Zeit saß eine große rothe Schlange mit einer goldenen Krone auf dem Kopfe im Walle am Hagentore. Kinder, welche dort Veilchen suchten, sahen sie einmal in der Sonne liegen, und liefen vor Angst und Entsetzen davon. Nur ein Junge war beherzt, nahm einen Stein und warf damit nach der Schlange und traf die goldene Krone, daß sie herabflog. Da huschte die Schlange mit einem kläglichen Geschrei in den Wall und ist niemals wieder gesehen worden. Die goldene Krone aber ist in den Stadtgraben gefallen, wo sie noch liegt, denn so viel man auch nach ihr gesucht hat, Niemand hat sie wiederfinden können. Der Junge aber, der den Stein nach der Schlange geworfen hatte, hat es später oft bereut, denn er hatte von Stund an einen lahmen Arm, den er auch mit ins Grab genommen hat.

Die Hildesheimer Jungfer

Auf den Hildesheimischen Fahnen und Stadtwappen steht die Hildesheimische Jungfer (in roth und gelb gekleidet, den Hildesheimischen Stadtfarben) mit einem Kranze in der Hand. Ueber die Entstehung dieses Wappens erzählt man aber folgende Sage. Es lebte einst zu Hildesheim ein schönes und reiches Edelfräulein, um welches viele Grafen und Ritter der ganzen Nachbarschaft freiten. Indessen holten sich die Meisten Körbe, denn das Fräulein hatte sich heimlich mit einem jungen Ritter, der der Dienstmann eines benachbarten Fürsten war, verlobt. Allein dieser Letztere sollte von diesem heimlichen Verlöbniß nichts erfahren, und deshalb pflegten die beiden Liebenden sich zuweilen in dem großen Hildesheimer Walde zu treffen, der damals noch bis an die Stadt ging. Eines Tages ging das Fräulein auch zu einer solchen Zusammenkunft hinaus in den Wald und suchte die große Linde auf, wo ihr Geliebter gewöhnlich auf sie zu warten pflegte. Allein kaum war sie an der Grenze des Holzes angelangt, so zog ein schweres Gewitter herauf, sie eilte so schnell als möglich nach dem Baume zu, aber als sie endlich dort anlangte, da lag ihr Bräutigam leblos auf dem grünen feuchten Moose am Fuße des Baumes, der Blitz hatte ihn erschlagen. Da wußte das arme Mädchen vor Verzweiflung nicht, was sie tun sollte, sie zerraufte ihr Haar, weinte und schrie und lief blindlings und ohne Nachdenken immer tiefer hinein in das Dickicht. So mochte sie einen ganzen Tag in der Irre herumgelaufen sein, als sie endlich ermattet unter einem wilden Rosenstrauche niedersank und einschlief. Da erschien ihr im Traume die h. Jungfrau und sprach ihr Trost zu. Gestärkt erwachte sie und suchte nun den Rückweg nach ihrer Vaterstadt, allein sie fand sich in einer vollständig fremden Gegend und sah weder Weg noch Steg. Da fiel sie nieder auf die Kniee und betete zur h. Jungfrau und gelobte all ihr Hab‘ und Gut der Kirche zu schenken, sofern ihr die h. Jungfrau wieder auf den rechten Weg helfe. Kaum hatte sie dieses Gelübde getan, als sie in weiter Ferne eine Glocke hörte, die rief ihr zu: »Kehre wieder! kehre wieder! kehre wieder!« Da lief die Jungfer, Gott dankend, den heiligen Klängen entgegen und je weiter sie vorwärts drang, desto deutlicher hörte sie die Glocke, bis sie aus dem dunkeln Wald kam und die schönen Felder und Gärten der Stadt zu ihren Füßen lagen. Da war es gerade acht Uhr Abends, doch das Fräulein mochte mehrere Tage im Walde herumgelaufen sein.

Die so wunderbar gerettete Jungfrau hielt nun pünktlich, was sie gelobt hatte. Sie beschenkte Kirchen und Klöster reichlich, vor Allem aber bedachte sie ihre liebe Vaterstadt und schenkte den Bürgern den ganzen Hildesheimer Wald, der ihnen, obwohl durch die viele Nutzung jetzt auf einige waldige Hügel zusammengeschrumpft, noch heute unentgeldlich Holz für den Winter liefert. Der Festungsthurm, auf dem die rettende Abendglocke hing, heißt seitdem und bis auf den heutigen Tag der »Kehre wieder!« Die Glocke selbst ward aber geweiht und in dem St. Lamberti-Kirchthurm aufgehängt. Damit nun die Glocke künftig auch andern verirrten Wanderern recht von Nutzen sein könne, so machte es die Jungfer fest, daß sie in den kurzen Tagen von Michaelis bis Ostern eine ganze Stunde und zwar Abends von 8 bis 9 Uhr geläutet werden solle. Auch machte sie ein Vermächtniß, laut welchem dem Läuter jährlich ein Paar Schuhe und ein Thaler bezahlt wird; und so ist es geblieben bis auf den heutigen Tag. Als in dem ersten Zehntel dieses Jahrhunderts von der westphälischen Regierung die Stifter und Klöster aufgehoben und überhaupt alle Stiftungen nicht mehr geachtet wurden, da hörte auch das Läuten mit der Jungfer-Glocke auf, allein von dem Augenblicke an fing dafür der Geist der zürnenden Jungfer in der Lambertikirche zu spuken; wenn der damalige Läuter auf den Turm ging, bekam er rechts und links von unsichtbaren Händen Ohrfeigen und dies dauerte so lange, bis die alte Bestimmung wieder hergestellt wurde. Es soll aber die Jungfrau noch eine zweite silberne Glocke zum Andenken an ihre Rettung haben gießen lassen, welche in der Michaeliskirche hing, als aber im Jahre 1803 die Preußen in das Stift kamen, da haben sie letztere heruntergenommen und die kleinen Silbermünzen, welche das Volk Stiefelknechte nannte, daraus schlagen lassen:

Der Stein

Eine Straße in der Nähe des Dammtors in Hildesheim heißt der Stein, von einem großen Steine, welcher sonst an der Ecke dieser Straße, jetzt aber an einer andern Stelle derselben Stadtgegend liegt. Einige sagen, ein Riese habe ihn als Sandkörnchen aus seinem Schuh geschüttelt. Andere aber, der Teufel habe ihn einst nach dem gegenüberstehenden Materni-Kirchthurme geschleudert, aber das Ziel verfehlt.

Das Schauteufelskreuz

An der Ecke des alten Marktes in Hildesheim steht ein uralter Stein mit einer betenden Figur: dieser Stein und der zunächst gelegene Platz heißt das Schauteufelkreuz. Dieser Name hat folgenden Ursprung. Vor vielen hundert Jahren stellten die Hildesheimer Bürger jährlich einen großen Fastnachtszug an, wobei viel Scherz und Muthwillen getrieben ward. Dem ganzen Zuge vorauf liefen die sogenannten Schauteufel, die als Teufel vermummt große Hörner auf dem Kopfe trugen und blutrothe Zungen aus den Mäulern hängen hatten. Nach einer Sage ist dieses Kreuz zur Erinnerung daran aufgerichtet worden, daß im Jahre 1428 eilf solche Schauteufel dort liefen und sich an Frauen und Kindern vergriffen, so daß in Folge dieser Unarten mehrere von ihnen erschlagen wurden. Nach einer anderen Erzählung aber schlug in dem genannten Jahre ein Gerberjunge einen der neckenden Schauteufel mit einer Kanne tot, und es wurde seitdem das Schauteufellaufen vom Rathe untersagt. Nach einer dritten Sage zog in jenem Jahre ein solcher Schauteufelzug durch die Straße, wo jetzt das Kreuz steht, da kam ein anderer Zug, der aber aus leibhaften Teufeln bestand, vom Markte her, allen voran stürmte der böse Feind daher und gab dem, welcher ihn nachäffte, eine solche Ohrfeige, daß er tot auf dem Platze blieb. Da riß Alles aus, was Beine hatte, und der höllische Spuk verschwand dann mit großem Lärm und Gestank in der Luft.

Andere erzählen, den Schauteufelstanz habe ein Schuster gestiftet, der vor vielen Jahren an der Ecke des alten Marktes wohnte. Dieser Schuster wußte vor Hunger und Kummer weder aus noch ein und faßte endlich den gottlosen Entschluß, einen Bund mit dem Teufel zu machen. Er stahl deshalb bei Nacht und Nebel von der Dombibliothek den Höllenzwang, der dort an einer Kette lag und beschwor den bösen Feind. Dieser, der nie lange auf sich warten läßt, wenn er eine arme Seele wittert, die er entführen kann, erschien auch bald und fragte nach feinem Begehr. Der Schuster verschrieb ihm gegen drei Himpten Geld seine Seele unter der Bedingung, daß ihm der Teufel die Seele lassen solle, wenn er nach Jahresfrist wiederkehre und finde, daß das ganze Geld bis auf Heller und Pfennig nur zu einem Gott wohlgefälligen Zweck angewandt sei. Das war der Teufel gern zufrieden und fuhr hohnlachend davon, denn er konnte wohl denken, daß der verhungerte Schuster, wenn er auch Kirchen und Klöster reichlich bedachte, doch einen großen Theil des Geldes für seinen bellenden Magen und seine durstige Kehle verwenden werde. Der Schuster aber war nicht von gestern und dachte bei sich: »Hast du so lange in Hunger und Kummer gelebt, so wirst du es auch noch ein Jahr aushalten«, trug also seine drei Himpten Geld zum Goldschmied und ließ ein großes silbernes Kreuz davon machen; das nahm er mit sich zu Hause und erwartete nach Ablauf des Jahres ganz ruhig den Teufel. Dieser blieb auch nicht eine Minute länger aus, war aber sehr erstaunt, als er den halbverhungerten Schuster noch ebenso wie vor einem Jahre in seiner ärmlichen Schusterstube den Pechdraht ziehen sah. »Was hast Du mit dem Gelde gemacht?« fuhr ihn der Teufel an. »Schau, Teufel, dieses Kreuz!« rief der Schuster aufspringend und ihm das silberne Kreuz entgegenhaltend. Da zerschlug der Teufel bitter und böse ein Fach Fenster und fuhr fluchend und stinkend davon. Der Schuster aber lachte sich ins Fäustchen, ließ sein Kreuz wieder einschmelzen und war von nun an ein steinreicher Mann. Zum Danke für seine Erlösung aus des Teufels Krallen ließ er den Denkstein setzen, der noch heute das Schauteufelskreuz heißt.

 Die beiden Hände auf dem Pfaffenstieg 

An einem Hause im Pfaffenstieg sah man früher eine steinerne Hand, welche eine kleine, steinerne Säule umfaßt hielt. Das bedeutete die abgehauene Hand eines Falschmünzers, der vor vielen hundert Jahren in diesem Hause sein Wesen trieb. Mancher, der Nachts durch den Pfaffenstieg kam, hat diese Säule und diese Hand in feuerrothem Scheine glühen sehen. Jedesmal auf den Tag nämlich, an welchem der Falschmünzer seine Strafe erlitten, erglühte die Hand vor Mitternacht. An einem andern Hause im Pfaffenstieg sah man eine hölzerne Hand, welche ein Streichmaß hielt. Das war die verdorrte Hand eines Kornwucherers, welcher bei einer Theuerung armen hungernden Leuten gegenüber seine Hand zum Fenster herausgestreckt und geschworen hatte, daß er kein Korn mehr habe, »die Hand solle ihm gleich verdorren, wenn er mehr im ganzen Hause habe, als man von einem vollgeschütteten Himpten streichen könne.« Kaum hatte der Bösewicht, der alle Kammern und Böden voll hatte, das Wort gesagt, als ihm Arm und Hand verdorrten.

 Die gläserne Kutsche

Es ist noch heutzutage kein Ort in der Stadt Hildesheim, wo es Nachts so still und grausig wäre, als bei der Pagels- oder St. Pauli-Kirche, in frühern Zeiten ist aber dies noch viel schlimmer gewesen, denn damals war dicht bei der Kirche, wo jetzt Göttings Garten ist, der Kirchhof, und dicht am Kirchhofe hin, gerade dem Kapuzinerkloster gegenüber, mußte man durch die enge düstere Petersilienstraße. Jede Nacht um die zwölfte Stunde kam nun aber eine gläserne Kutsche vom Pfaffenstiege über den Bohlweg durch die Kreuzstraße an dem alten Pulverthurm vorbei und hielt vor der Petersilienstraße still. Nun stiegen aber aus der Kutsche ganz still und stumm mehrere Leute in ganz altfränkischer Tracht und setzten auf die niedrige Kirchhofsmauer eine Mulde, in welcher ein blutendes Kind lag. Ein Messer stack dem Kinde aufrecht in der Brust. Im Umsehen stand auch ein Galgen da. Die stummen Leute ergriffen nun eine händeringende Frau, welche mit in der Kutsche gekommen war, und hingen sie an dem Galgen, gerade über der Mulde, in welcher das Kind lag, auf. Sobald dies geschehen war, stiegen die Leute wieder ein, die Kutsche fuhr davon, und wie das Rollen der Räder in der Ferne nach und nach verhallte, so zerfloß auch der Galgen und verschwand von der Mauer die Mulde.

Original: Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des preußischen Staates

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