Sagen rund um Gotha

Inhaltsverzeichnis

Der Herr Augustin

Zu Gotha am Jakobsplatz steht ein steinern Haus mit einem Steingebilde, darauf ist ein Mann zu erblicken, der zweien Kindlein Brötchen darreicht, und stellt solches Bild den Herrn Augustin vor, welcher ein absonderlicher Kinderfreund war. Stets beschenkte er arme Kinder, ging niemals aus ohne die Taschen voll Gaben, und es war, als ob es aus sotanen Taschen quölle und sie nimmer leer würden. Selbiger Herr Augustin wurde achtzig Jahre alt unter solcher Liebe zu den Kindern und der Kinder zu ihm, und da es mit ihm zum Sterben gedieh, hat man zwei Knäblein an seinem Lager sitzen sehen, welche ihm die Augen schlossen, und auf seinem Grabe ist drei Tage lang ein Knäblein sitzend gesehen worden, niemand aber hat dasselbe gekannt.

Der Schatz auf dem Schlosse Friedenstein

Auf dem Schlosse Friedenstein zu Gotha, darinnen die Ahnfrau des herzoglichen Hauses umwandelt, war ein Mann vom Soldatenstande des Namens Eckart Hofverwalter, und pflegte bisweilen in der Hofstube auf einer Bank die Nacht hinzubringen, besonders dann, wenn langanhaltende Festlichkeiten bei Hofe seinen Dienst bis in die späte Nacht erfordert hatten. Der erblickte einst in dieser Stube einen Geist, der ihm zu folgen winkte. Eckart nahm das noch brennende Licht und ging ohne Furcht dem Geist nach. Dieser führte ihn durch mehrere Gänge in ein Gewölbe, da stand ein großer Kessel ganz voll Goldstücke, und der Geist bedeutete dem Mann, er solle zugreifen und den Schatz heben. Aber es kam ihm Grauen und Entsetzen an, und er wich nach der Hofstube zurück. Der Geist folgte ihm und suchte ihn unter beweglichen Gebärden zu vermögen, umzukehren. Er solle nur ein Drittel des Schatzes für sich nehmen und die beiden andern Dritteile der Landesherrschaft geben, aber Eckart ließ sich nicht darauf ein. Am folgenden Morgen eröffnete er den Vorgang seinem Herrn, dem Herzog Friedrich II., und bat um Verhaltungsbefehle in dieser Sache. Der Herzog sprach, er befehle ihm hierin nichts, wolle er fürder mit dem Geist gehen, so möge er es auf eigene Gefahr tun. Nach einiger Zeit fand man die Hofstube verschlossen, und der Hofverwalter war nicht zu sehen. Man klopfte und rief, so stark man konnte, und endlich ward die Türe aufgebrochen. Der Hofverwalter lag fast leblos mit dem Kopfe auf dem Tische; er wurde zwar wieder zu sich gebracht, doch war nichts aus ihm herauszubringen. Nur einem Geistlichen hat er hernachmals offenbart, daß der Geist ihm abermals erschienen und gar wehmütig gefleht, gleich wie das Gespenst bei der Edelfrau zu Gehofen, doch den ihm bescherten Schatz zu heben. Er solle sich nur nicht fürchten; es werde zwar eine Geistesgestalt wie ein welscher Hahn ihm zwischen den Beinen hindurchfahren, doch ohne Schaden, und der Wert des Schatzes betrage vierzigtausend Taler. Er, der Hofverwalter, habe aber gesagt, er tue es nicht, er liebe und lobe sich die welschen Hahnen gebraten vor ihm in der Schüssel und nicht also, wie der Geist zu verstehen gegeben, da habe der letztere schrecklich wehmütige und entsetzliche Gebärden gemacht, so daß er, Eckart, darüber ganz die Besinnung verloren habe. Der Geistliche gab den Rat, nicht mehr in der Hofstube zu schlafen, sich einen fetten Konsistorialvogel braten zu lassen und zur Stärkung eine Flasche Wein dazu zu trinken, wobei er ihm auf Verlangen Gesellschaft zu leisten gern erbötig; selbiges hat Eckart getan und ist nachher von dem Geist unbeschwert geblieben, sonach dürfte der Schatz noch zu heben sein, wenn der Geist nicht einen andern Mann gefunden hat. Eckart hat nachher noch manchen welschen Hahnen vor sich erscheinen lassen, dabei zum öftern sein Erlebnis erzählt und ist als herzoglicher Major zu Gotha nach einem löblichen Leben seliglich verstorben.

Thüringen Fluten

Große und greuliche Wasserfluten haben oft das Thüringerland heimgesucht. Eine der schrecklichsten war die am 17. Maimond 1558; die Erde erbebte, und die Schleusen des Himmels gossen stromgleiche Fluten auf die Fluren zwischen Gotha und Langensalza nieder. Im Orte der Grafen von Gleichen, Burgtonna, wurden fast vierzig Häuser und Scheunen zumal und von Grund aus verwüstet, daß man hernach nicht mehr sah, wo Haus oder Scheuer gestanden. Starke Bäume wurden mit den Wurzeln ausgerissen und davongeführt, sechsundvierzig Personen fanden nur allein in Burgtonna ihren Tod. In einem der hinweggerissenen Häuser, des Hirten Wohnung, lag eine Wöchnerin, die Tags vorher geboren hatte. Das Kindlein lag in einer Mulde, das Haus stürzte zusammen, die Mutter verdarb, das Neugeborene schwamm in seiner Mulde unversehrt neunzig Schritte weit davon, blieb im Gezweig eines Apfelbaumes hangen und ward gefunden lebend und ohne Leid. An manchen Stellen im Dorfe hat das Wasser dreier Männer Höhe übereinander erreicht. Ein Mann sang noch im Untersinken: Nun bitten wir den Heiligen Geist; ein anderer reckte seine Hand im Sinken aus dem Wasser und segnete die, so noch lebendig. Ein Knabe, ein Knecht und ein Futterschneider gewannen einen hohen Birnbaum, die erhielten ihr Leben. Ein im Lande umwandernder Buchträger, heutzutage neumodisch Kolporteur genannt, kam auf einen Balken rittlings zu sitzen, schwemmte fünf Ackerlängen hinweg und brachte sich und seinen Bücherranzen glücklich und unversehrt ins Trockne.

Das war aber alles nichts gegen eine Flut, dergleichen nie vorher und nie nachher erhöret worden im Thüringer Lande, die geschahe am 29. Mai 1613. Da kamen Wetter von allen Seiten und standen viele Meilen in die Runde über dem Lande und tobten gegeneinander, daß alle Leute glaubten, der Erde jüngster und letzter Tag sei herbeigekommen, das reichte von der Saale bis zum Harz und von der Werra bis zur Elbe. Die Ilm überschwoll ihr Bette zehn bis zwölf Ellen hoch, riß in Weimar vierundvierzig Häuser und Scheuern weg, ertränkte vierundsiebzig Menschen und zweihundert Stück Vieh; noch ist am Kegeltor daselbst der schwarze Strich, das Wahrzeichen, wie hoch dort die Flut stand. In Oberweimar ertranken vierzehn Menschen, stürzten zweiundzwanzig Häuser ein; in Mellingen raffte die Flut zweiundzwanzig Menschen hinweg und zertrümmerte sechsunddreißig Häuser. Eines Hirten Weib ertrank mit zugleich vier Kindern; der Vater, der sich rettete, hörte noch, wie das jüngste, als seine kleine Lagerstätte schon schwamm, die Mutter fragte: Kommen wir auch in den Himmel, wenn wir ertrinken? – und als jene mit Ja! antwortete, hat das Kindlein gerufen: Ei, so will ich gern mit ertrinken! Gut Nacht, lieb Vater und Mutter! – Mehrere Dörfer wurden fast ganz hinweggerissen, so daß nur wenige Häuser stehenblieben. In Gotha blieb kaum ein Fenster ganz von den Schloßen, kein Halm auf den Äckern. Mühlhausen litt ungemein; der Schade, den Wetter und Flut in Langensalza tat, ward allein auf eine Tonne Goldes geschätzt, aber er ganze Schade im Thüringer Lande auf mehrere Millionen Taler. Nur allein zwischen Jena und Magdeburg ertranken über zweitausend Personen oder wurden von einstürzenden Häusern begraben. Diesen furchtbaren Wassererguß nannte man hernachmals die Thüringer Sündflut und erkannte in ihr ein strafendes Gottesurteil, um so mehr, als alle römischen Zahlbuchstaben dieses strafenden Jahres in einem einzigen Worte enthalten waren, und das war das Wort IVDICIVM (MDCXIII).

Bechstein

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