Sagen rund um Breslau

Inhaltsverzeichnis

 Die eiserne Jungfrau auf der Burg 

Am Odertor, wo jetzt das Matthiasstift ist, stand ehemals die alte Kaiserburg, die von Kaiser Sigismund oder noch früher erbaut worden ist. In einem unterirdischen Raume derselben soll ehemals eine sogenannte eiserne Jungfrau, eine Martermaschine gestanden haben, die ein verborgenes Räderwerk in sich schloß, welches, wenn es durch den Tritt eines Menschen in Bewegung gesetzt ward, die eiserne Jungfrau soweit in Bewegung setzte, daß sie die Arme öffnete und den Unglücklichen, der ihr verfallen war, an sich zog, umarmte und gleichzeitig in die Messer, mit der ihr Gürtel und Leib besetzt war, hineindrückte und so tötete. Man hörte oft des Nachts dort ein dumpfes Geräusch wie von Mühlrädern und Jeder vermied sorgfältig diese Gegend des Schlosses.

Zu jener Zeit war Werner von Bruneck Verwalter der Burg, der eine Tochter, Namens Maria hatte, die als die schönste Jungfrau der Stadt Breslau galt. Der Tempelritterorden war aufgehoben und die Güter desselben sollten verteilt werden. Dies veranlaßte einen jungen Ritter des deutschen Ordens, Konrad von Salza, der später der berühmteste Hochmeister desselben ward, in der Breslauer Burg seinen Aufenthalt zu nehmen. Dort sah er das Mädchen, sie gefiel ihm nicht wenig, er ihr aber noch mehr und da er einsah, daß aus dieser Liebe nichts werden könne, da er als deutscher Ordensritter überhaupt sich nicht verehelichen durfte, so beschloß er durch seine Entfernung der Sache ein Ende zu machen. Er schrieb also am Abend vor dem Tage, wo er abreisen wollte, einen Brief an Werner und einen an dessen Tochter und ging dann ins Freie. Bei seiner Rückkehr verirrte er sich aber in der weitläufigen, ihm doch noch nicht recht bekannten Burg und kam statt in sein Gemach auf einen Gang, an dessen Ende ein Licht schimmerte. Er ging darauf zu und kam ganz unerwartet in eine Halle mit steinernem Fußboden, links und rechts mit Türn. An der Decke hing eine Lampe, die nur ein düsteres Licht verbreitete. Ringsum herrschte die tiefste Stille. Der Ritter erinnerte sich nicht jemals in dieser Halle gewesen zu sein, und wollte eben wieder umkehren, als die Burgglocke die Mitternachtstunde verkündete. Plötzlich schien in und um das Gemach herum Leben zu werden. Die Mauer bebte, Türn krachten auf und zu, der Fußboden gerieth in eine zitternde Bewegung und unter ihm rauschte ein Räderwerk in gewaltigem Getriebe. Darauf pfiff ein Windstoß durch das Gemach,[168] der die Lampe abwechselnd auslöschte und stärker entflammte und zu seinem lauschenden Ohre das klägliche Wehegeschrei einer weiblichen und einer männlichen Stimme führte. Die Jammerlaute kamen näher und mit ihnen auch eilig ein Weib mit blutigem Gewande und fliegenden Haaren, und ihr folgte auf dem Fuße ein Ritter, durch dessen zerquetschten Harnisch das Blut strömte. Beide Gestalten eilten hastig durch die Halle und zur Tür, die aufsprang, hinaus. Kaum war aber die Erscheinung den Augen Konrad’s entschwunden, als er ein dumpfes Räderrauschen und Wimmern hörte, das nach einigen Secunden schwächer ward und endlich gänzlich schwieg. Aber mit dem Verhallen des letzten Jammerlautes traten die Gestalten wieder durch die erstere Tür herein und schienen die ganze Scene wiederholen zu wollen. Da zog Konrad sein Schwert und stellte sich mit dem Rufe: »Wer seid Ihr?« ihnen entgegen. Die Gestalten blieben stehen, hefteten ihre Blicke, wie es schien, besonders auf das Kreuz seines Mantels und schwiegen. Konrad wiederholte seine Frage und statt der Antwort deutete ihm das starre Totengesicht des Mannes an, daß er ihnen folgen solle. Da dies aber dem Ritter bedenklich schien, wurde der Blick des gespenstigen Ritters flehender, Konrad folgte also den Gestalten. Plötzlich sah sich der Ritter Konrad am Rande einer erleuchteten Tiefe, in der er die Riesengestalt der eisernen Jungfrau sitzend erblickte. Wie ein Wildverzweifelnder jagte die männliche Spukgestalt die weibliche hinab und stürzte sich dann selbst ihr nach, worauf sich das schreckliche Rauschen der Räder, das Wimmern und Röcheln wiederholte. Von einem unnennbaren Entsetzen ergriffen trat Konrad in die Halle zurück und fand die beiden Unglücklichen vor sich stehen, die von ihm ihr Urtheil zu erwarten schienen. Er gewann Geistesgegenwart genug um sie zu fragen, ob er sie retten könne und wodurch. Da zeigte die männliche Gestalt mit ihrem Arme auf eine Schrift über der Tür zu dem Orte der eisernen Jungfrau, Konrad folgte dem Winke und las: »Entsagung bringt Erlösung!« – »Ihr seid erlöst!« rief Konrad mit fester Stimme. Da trat der Mann mit heitrer Miene auf ihn zu und reichte ihm eine Pergamentrolle, die er unter seiner Rüstung hervorzog und als ihn die kalte Totenhand berührte, geschah ein so heftiger Knall, daß die Lampe erlosch, die Mauern wankten, das ganze Gebäude zusammenstürzte und Konrad das Bewußtsein verlor.

Als er wieder zur Besinnung kam, befand er sich in seinem von innen verriegelten Gemache und es war heller Tag. Er hätte die ganze Erscheinung für ein lebhaftes Traumbild gehalten, wenn er nicht die Pergamentrolle vor sich gesehen hätte. Er wußte nicht, ob er sie lesen solle oder nicht, aber indem er noch da stand und nachdachte, meldete ihm sein Knappe, daß das Nebengebäude der Burg, wo die eiserne Jungfrau steht, in der letzten Nacht bei einem heftigen Sturm in Schutt und Trümmer zerfallen sei. Dieses neue wundersame Ereigniß veranlaßte ihn, die Rolle zu öffnen und ihren Inhalt zu lesen. Er entfaltete sie und fand darin die Geschichte jener Unglücklichen, eines Ritters und einer Nonne, die jener verführt und die Beide zur Strafe diesen grausamen Martertod erleiden mußten. Von seinem Gewissen gemahnt zog aber Konrad eilig von dannen und als er nach Jahresfrist wiederkehrte, fand er die schöne Maria als Gemahlin eines Andern. Er hielt sein Gelübde der Entsagung und wurde einer der berühmtesten Hochmeister des deutschen Ordens und sein Name war bald von allen Feinden desselben gefürchtet.

Von der alten Kaiserburg ist jedoch heute nichts mehr zu schauen, als allein noch eine uralte Mauer.

Wie der Pest in Breslau bekämpft wurde

Als im Jahre 1542 zu Breslau die Pest gar arg wüthete und kein Mittel gegen ihre Verheerungen anschlagen wollte, da erschien einem frommen Bürger im Traume ein alter Mann, der zeigte ihm ein Kraut mit Wurzel, so er Bibernell nannte und auf Wiesen zu wachsen pflegt, und hieß ihn diese Wurzel zu nehmen und gegen die Pest zu brauchen, sie werde davon aufhören. Am andern Morgen hat er das Geträumte seinen Mitbürgern erzählt, das Volk ist auf die Wiesen gelaufen und hat die Wurzel ausgestochen, und von Stund an ist keiner wehr gestorben.

Die weiße Rose

Im Dome zu Breslau geschieht es wie zu Corvei, Hildesheim und Lübeck, daß wenn ein Domherr sterben soll, am Morgen des dritten Tages vorher eine weiße Rose auf dessen Stuhle liegt, zum Anzeichen, daß er sich zum Tode vorbereiten solle. Davon sprechen auch zwei steinerne Tafeln mit Inschriften rechts und links am Eingange. Nach einer Sage ist dies zum ersten Male bei dem Tode des Bischofs Laurentius I. (1233) geschehen, denn diesen fand man früh tot in seinem Betstuhl liegen, eine weiße Rose in der Hand haltend. Diese soll ihm einst der abgeschiedene Geist einer Jungfrau, die er zärtlich geliebt hatte, aber als Geistlicher nicht ehelichen durfte und die darüber vor Herzeleid gestorben war, im Traume überreicht haben.

Die schreckliche Nacht

Vor langer langer Zeit saß zu Breslau in einer Bude unter den sogenannten Leinwandmeistern eine gar böse Frau, welche nie einen Gottesdienst besuchte und von allen ihren Zunftgenossen wegen ihres lasterhaften Wandels und ob ihres zänkischen und betrügerischen Wesens willen gemieden ward. Sie hatte in ihrer Jugend durch ihre Schönheit und Heuchelei einen reichen braven Mann zu bethören gewußt, allein bald nach ihrer Verheiratung die Maske abgeworfen und sich in ihrer wahren Gestalt gezeigt. Denn sie lebte heimlich mit einem rohen Kriegsknecht und verpraßte mit ihm das Vermögen ihres guten Mannes. Schließlich kam derselbe aber doch hinter ihre Schliche, aber da alle seine Vorstellungen und Bitten nichts halfen, so nahm er sich selbst durch Gift das Leben und nun hatte sie freies Spiel. Allein diese Freiheit kam ihr auch nicht lange zu Gute, denn ihr Buhler bekam sie endlich auch satt und eines schönen Morgens war er[170] sammt dem besten Theil ihrer Kostbarkeiten verschwunden. Zwar tobte und wüthete sie fürchterlich, allein das half Alles nichts, er hatte sich wohl vorgesehen und war längst über alle Berge, so daß sie nur das leere Nachsehen hatte.

Von diesem Augenblicke an war aber die Frau wie umgewandelt, sie haßte alle Männer und an die Stelle rasender Verschwendung trat ebenso große Habsucht und Geiz. Sie saß beständig in ihrer Bude, plagte ihre Dienstleute, betrog alle Leute durch falsches Maaß und trieb den schändlichsten Wucher. So brachte sie auf ebenso abscheuliche Art und Weise ihr Hauswesen wieder in die Höhe, wie sie es früher heruntergebracht hatte, aber auch ihr Stündlein kam, und es ertönte an einem trüben Abend das Sterbeglöcklein hoch vom Turme herab für die allgemein verhaßte Frau.

Was man schon noch bei ihrem Leben vermuthet und gesagt, geschah; die böse Frau hatte keine Ruhe im Grabe. Mit Grausen war vom Wächter auf dem Elisabethenthurme bemerkt worden, daß allnächtlich beim Beginn der Geisterstunde sich die Frau aus dem Grabe erhob, das Sterbekleid quer über den Hügel legte und nun rüstigen Schrittes nach der Bude eilte, und dann wurden von ihr eine ganze Stunde lang Stückchen Leinwand ohne Ende gemessen und gemessen, und immer gemessen, bis ihr der Schweiß in dichten Tropfen auf der Stirne gestanden und die Augen geblutet hatten.

In der einen Nacht als der Wächter wieder gesehen, wie sich das Gespenst aus dem Grabe erhoben und nachdem es das Sterbekleid abgelegt, nach der Bude zu dem nächtlichen Geschäft geeilt war, stieg er von dem Turme herab, ging zu dem Grabe, nahm das Sterbegewand hinweg und eilte zurück zu dem Turme. Als er das Pförtlein wieder zumachen will, um die schmale Wendeltreppe hinaufzusteigen, da fällt ihm plötzlich etwas ein und vorsichtig bezeichnet er das Pförtlein dreimal mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes. Darauf schließt er die Tür und steigt, das kalte Sterbekleid im Arme, schnell die gewundene Treppe hinauf zu seiner hohen Wohnung. Dort wirft er es an einen kleinen hölzernen Hausaltar und tritt an das Fenster, von wo er den Kirchhof und jenes Grab sehen kann.

Schon war es im letzten Viertel der ersten Stunde nach Mitternacht, da kehrt das Gespenst zu seiner Behausung zurück. Als es das verlassene Sterbekleid vermißt, da richtet sich sogleich sein Blick nach dem Fensterlein, aus dem der vorwitzige Wächter herniederschaut und ob ihrer grimmigen Geberde zurückbebt. Doch größer wird sein Schrecken, als er jetzt das Gespenst den Weg mit hastigen Schritten zum Turme nehmen sieht. Je mehr sich das Gespenst nähert, desto mehr steigt die Furcht des Wächters. Seine Hände falten sich zum Gebet, welches seine Lippen bewußtlos stottern. Jetzt ist es am Pförtlein, da gewahrt es das heilige Zeichen und bebt davor zurück. Der Wächter hat sich ängstlich mehr zum Fenster hinausgebeugt und als er schaut, welche Wirkung das Zeichen des Kreuzes thut, da will er zurück in sein Gemach, um Gott für seine Rettung zu danken, doch als er noch einen Blick hinunterwirft um zu sehen, ob das Gespenst nun seinen Rückzug angetreten hat, da sieht er mit Schaudern, wie dasselbe an der Außenseite des Mauerwerks den Turm hinanzuklimmen sucht. Da erfaßt ihn Todesangst, seine Glieder sind wie erstarrt und nicht kann er den Platz am Fenster verlassen, sondern er steht wie gebannt und muß dem Gespenste zusehen, wie es immer näher heraufkommt. Schon kann er das von Wuth verzerrte Gesicht desselben sehen, welches der Mond geisterbleich beleuchtet, seine Haare sträuben sich hoch empor, jetzt ist das Gespenst bis an die Gallerie, schon will es sich hinüberschwingen, er sinkt mit einem Schrei des Entsetzens zu Boden, da schlägt es Eins und im Nu lassen die dürren Knochenhände das Geländer los, die Beine lassen die Säulen, welche sie umklammert hatten, fahren, und krachend stürzt das Gerippe hinab auf den harten Boden des Kirchhofes. Am andern Morgen fand man dort den furchtbar verunstalteten und kaum noch zu erkennenden Leichnam der bösen Frau; das Volk aber, zu welchem mittlerweile die Kunde von dem furchtbaren Ereigniß in der Nacht, von welchem der Wächter noch, in Folge der bestandenen Angst und Todesgefahr schwer erkrankt darniederlag, gedrungen war, litt nicht, daß das Gerippe wieder in geweihte Erde kam. Der Henker mußte kommen; mit einem Grabscheit ward dem Leichname der Kopf abgestochen und dieser dann auf einer Kuhhaut zum Galgen geschleppt und dort verscharrt. Der Wächter aber überlebte die gräßliche Nacht nicht lange, das Gespenst ward aber auch nicht wieder gesehen. Von einem Künstler ward aber die furchtbare Begebenheit in Metall gravirt und dieses Bild stand noch bis zum Anfange dieses Jahrhunderts an einer der Türn der Elisabethkirche, ganz an der Seite versteckt in der Mauer.

Der Hahnenstein oder die Hahnenkrähe vor dem Nicolaitore

Eine sehr alte, anscheinend dem Anfange des 13. Jahrhdts. angehörige Weichbildssäule oder sogenannte Martersäule vor dem St. Nicolaitore auf dem Wege nach Lissa führt im Munde des Volkes seit undenklicher Zeit den Namen der Hahnkrähe, welche Benennung unbedingt nur dem Hahne, der mit erhobenen Flügeln an der westlichen Seite der Krönung der Säule oberhalb des Kapitals derselben als Relief gehauen, obschon bereits sehr verwittert zu sehen ist, seine Entstehung verdanken mag. Dieser Hahn soll sicherlich den Hahn vorstellen, der nach der dreimaligen Versündigung des Petrus an seinem Herrn und Meister seinen Mahnungsruf in die Ohren des verzagten Jüngers Jesu nach der Voraussagung desselben erschallen ließ. Auf der nördlichen Seite ist die Kreuzigung, auf der Morgenseite hingegen ist nur noch eine ganz schwache Spur der Dreieinigkeitsdarstellung, während in der Krönungsnische nach Mittag zu ein flüchtiger Reiter angebracht ist.

Die Volkssage berichtet, daß vor vielen Jahrhunderten ein ehrsamer und tapferer Ritter aus dem Geschlechte derer von Wiesenburg (nach Andern hieß er Hedlow von Wildburg) gelebt hat, mit Namen Henzko (d.i. die slavische Form für »Heinze« oder den provinziell verstümmelten Namen »Heinrich«). Dieser Henzko hatte eine eben so schöne als tugendhafte Gemahlin, die er über Alles liebte und die sein ganzes Lebensglück ausmachte. Als daher Herzog Heinrich (IV.?) das Kreuz nahm und nach Palästina zog, da mußte der Ritter demselben die Lehnsfolge leisten. Daß das Herausreißen aus seinem ehelichen Himmel dem Ritter nicht eben gleichgültig sein konnte, verstand sich von selbst. Er bot Alles auf, sich dieser Pflicht zu entziehen; allein vergeblich, er mußte sich dem Zuge nach dem Morgenlande anschließen.

Nach einer andern Erzählung mußte jedoch Henzko allein ziehen, um einen Auftrag des Herzogs dorthin auszurichten. Zu dieser so wenig erfreulichen Mission soll ihm aber ein mächtiger Günstling des Herzogs, Namens Leutko, verholfen haben, der schon seit längerer Zeit ein Auge auf Henzko’s schöne Gattin gehabt hatte. Leutko wollte sonach die Henzko aufgetragene Botschaft als eine Art Uriasbrief benutzen. Im Vorgefühle einer ihm gelegten Falle traf Henzko mit seiner Gemahlin, der er beim Abschied noch besondere Vorsicht anempfahl und ihr ewige Treue schwur, das Uebereinkommen, daß sie nur dann von seinem Tode sich überzeugt halten solle, wenn ihr Jemand das silberne Crucifix, das er um seinen Hals zu tragen pflegte, überbringen würde, worauf sie dann freie Hand haben sollte. Noch nicht am Ziele seiner Reise angelangt, verfiel Henzko in Folge ungewohnter Strapazen in eine Krankheit, von der er seine Gemahlin zu benachrichtigen nicht verfehlte. Leutko glaubte schon dieses Mißgeschick Henzko’s zu seinen Gunsten benutzen zu können und der Gemahlin desselben vom gewissen Tode ihres Gemahls Nachricht ertheilen zu müssen, wobei er ihr zugleich seine Wünsche offenbarte; allein diese Kühnheit wurde von ihr mit Würde in ihre Schranken zurückgewiesen. Henzko war völlig genesen, hatte seine Botschaft erfüllt und war bereits mit leichterem Herzen auf dem Wege zur Heimath, als plötzlich aus des Waldes Dickicht eine Räuberhorde hervorbrach, ihn beraubte und ihn selbst als Sklaven in eine nahe Hafenstadt verkaufte. Ein Diener Henzko’s war indessen den Räubern entkommen und gab nach Hause zurückgekehrt vor, um nicht als treulos angesehen zu werden, daß sein Ritter bei diesem Raubanfall im Walde erschlagen worden sei. Leutko suchte bei dieser falschen Kunde von Neuem zu seinen Gunsten bei der vermeintlichen Wittwe Henzko’s zu wirken. Doch immer noch vergeblich war das Bemühen, ihr den Glauben an das Nochleben ihres geliebten Gatten zu nehmen.

Drei Jahre hatte jetzt Henzko das Sklavenjoch getragen, als es ihm in einer Nacht träumte, daß seine Gemahlin an der Hand Leutko’s zum Traualtar schritt, ja daß er entsetzt dem Trauungszuge nachstarren mußte, ohne etwas dagegen tun zu können, und in Angstschweiß gebadet erwachte er noch vor Sonnenaufgang auf seinem Lager. Bebend vor Aufregung rief er aus: »O könnte ich doch noch vor Sonnenaufgang vor den Torn Breslaus sein, so wollte ich gern das Heil meiner Seele dafür hingeben!« Da plötzlich krähete ein Hahn, neben seiner Bettstatt regte sich etwas und Herr Urian stand vor ihm: »Wohlan«, rief dieser ihm zu, »ich bringe Dich auf einem schwarzen Hahne reitend dort noch vor des Morgens Anbruch zur Stelle, doch dann ist der Pact abgeschlossen!« Bei diesen Worten zeigte der Böse auf einen gewaltigen Hahn, der die Flügel so lustig schlug, als wolle er schnellstens zum Ritte bestiegen sein. Doch noch kämpften in dem Gewissen Henzko’s Christenglaube und Liebe; allein bald trug letztere den Sieg davon. Der Pact ward zwischen dem verliebten, aber dabei doch schlauen Ritter und dem Herrn Urian, der aber hier ein dummer Teufel war, vollzogen und Henzko schwang sich von seinem Lager behend auf den reiselustigen Hahn, eingedenk des Crucifixes, das er noch an seinem Halse trug und das ihm als Schutzmittel gegen des Teufels Macht dienen sollte. Im Nu ging es wie auf Sturmesfittigen von dannen; außerdem hatte aber der Ritter bei sich erwogen, daß sie doch möglicher Weise nicht vor Tagesanbruch dort ankommen würden ober daß der Teufel schon dadurch hintergangen sein würde, daß er, obschon er auf dem Hahne alsbald entschlummert sein werde, doch sofort erwachen müßte, sobald der Hahn nach aller Hähne Gebrauch vor Tagesanbruch krähen würde, und mit dem Erwachen werde dann auch der Vertrag mit dem Teufel gelöst sein. So geschah es auch; der Hahn krähte; sie befanden sich gerade über Breslau, als eben die ersten Strahlen der Sonne die Stadt beschienen; das Crucifix aber schützte den Ritter vor der Gewalt des Satans, der dies allerdings nicht geahnt hatte. Der Hahn, vor dem Nicolaitore niedergegangen, verwandelte sich in ein schönes gezäumtes schwarzes Roß, auf dem Henzko in Breslau einritt. Seine Gemahlin, die ihn allerdings wirklich tot geglaubt hatte, aber ihm gleichwohl treu geblieben war, war hoch erfreut über seine Rückkehr, und seine wunderbare Rettung ward weit und breit verkündet. Zum Andenken aber ließ er jene Weichbildsäule setzen, die noch heute als Wahrzeichen der Stadt gilt, aber von der ganzen Sage nichts zum Beweise an sich trägt als die Bilder des Hahns und des Ritters.

Die Dohle an einem Giebel des Hauptschiffs der Collegiatkirche

An dem zweiten Giebel (vom Turme aus südwestlich bei dem Seitenhaupteingange) der ganz aus Backsteinen in streng germanischem Style erbauten Kreuzkirche, zu dem eine Freitreppe führt, sieht man auf dem zwischen den Strebepfeilern laufenden Simse des Giebels, welcher in seiner obern Füllung den schlesischen Adler zeigt, das Bild einer sitzenden Dohle in Stein gehauen.

Diese Kirche ist an und für sich schon beachtenswerth, sowohl in architektonischer als artistischer Hinsicht, denn der Unterbau birgt die unterirdische Kirche zu St. Bartholomäus, die jedoch leider im 30jährigen Kriege von den Schweden, die sie als Pferdestall benutzten, gänzlich ruinirt worden ist. Interessant ist die Geschichte der Entstehung dieser Krypta.

Herzog Heinrich IV., welcher mit dem Bischof Thomas II. von Breslau in Hader gerieth und eben deshalb in Folge einer Synode zu Lowicz 1285 vom Erzbischof von Gnesen in den kirchlichen Bann erklärt worden war, versöhnte sich bekanntlich vor Ratibor aus eigenem Antrieb seines an sich friedlichen Herzens mit diesem geistlichen Herrn, der aus Furcht vor dem Herzoge als Flüchtling umhergeirrt, endlich in Ratibor Aufnahme gefunden hatte, und legte zuerst den Grund zu der Bartholomäuskirche. Doch als man beim Graben eine Wurzel in der Form eines Crucifixes mit den Figuren der h. Maria und des h. Johannes fand, so änderte sich sein Bauplan dahin, daß er, damit er seinem dem h. Bartholomäus getanen Gelübde nicht untreu würde, auf eine unterirdische Kirche noch einen Hochbau als Heiligthum des h. Kreuzes zu setzen beschloß. Beide Kirchen wurden mit dem dazu gehörigen Collegiatstifte am 3ten Januar des Jahres 1288 eingeweiht.

In der Sakristei derselben Kirche wird übrigens noch ein anderes Wahrzeichen der Stadt, eine Riesenrippe gezeigt.

Die Ursache der Aufstellung des bekannten schwarzen Vogels, der sonst eigentlich mehr in Diebssagen figurirt, soll nun aber folgende sein.

Einige Chorknaben hatten nach der den Knaben eigenen Sucht nach Entdeckungen im hochgiebeligen Kirchdache ein Nest mit jungen Dohlen ausgespürt. Die Anzahl der Dohlenbrut paßte nicht zur Zahl der Kinder; dies veranlaßte natürlich Streit, und die Folge davon war, daß einer derselben, welcher aus der Giebelluke sich auf das Dach des Strebepfeilers, wo sich eigentlich das Nest befand, herausgewagt hatte, es versah und, das Gleichgewicht verlierend, von seiner schmalen Bahn herabfiel. Doch der Himmel wachte über ihn, denn er kam, von seiner Schalaune (scholana, Schülermantel) getragen, glücklich aus dieser Höhe auf den Erdboden, und zum Andenken ließen die Domherren diese Dohle in Stein hauen und dort anbringen.

Schaltnicht

In der Umgebung von Breslau am Ufer der Oder liegt ein Dorf, wohin die Breslauer des Vergnügens wegen zu pilgern pflegen, dieses heißt Scheitnicht. Der Ursprung des Namens soll folgender sein.

In der Nähe dieses Ortes stand im Mittelalter eine Ritterburg, auf der ein junges Ehepaar wohnte; dasselbe lebte glücklich und zufrieden, allein auf der Burg hielt sich ein Burgpfaff auf, der sein Auge auf die junge Rittersfrau geworfen hatte und ihrer Tugend nachstellte. Es versteht sich, daß alle seine Bemühungen, sich bei der tugendhaften Frau einzuschmeicheln, fruchtlos blieben, darum versuchte er es auf andere Weise. Er wußte den Glaubenseifer des Ritters anzufeuern, so daß derselbe nicht übel Lust bekam, sich einem damals gerade unternommenen Kreuzzuge anzuschließen, und der Mönch hoffte, derselbe werde entweder gar nicht wiederkehren oder er werde wenigstens in der Abwesenheit des Ritters Zeit und Muße haben, das Herz seiner Frau zu gewinnen; indessen wußte die Rittersfrau ihrem Manne sein Vorhaben immer wieder auszureden und so gelang es ihr denn, ihn dahin zu bringen, daß er es dem Ausspruche des Zufalls überlassen wollte, ob er ziehen solle oder nicht. Darauf gingen sie mit einander hinaus in’s Freie und wanderten immer querfeldein durch Wiesen, Felder und Wald, bis sie selber nicht mehr wußten, wo sie waren. So kamen sie denn endlich auf eine freie Stelle und sahen einen kleinen Weiler vor sich; ein Bauer aber, den sie nach dem Namen desselben fragten, gab ihnen denselben mit dem Worte »Scheitnicht« an, und die Gatten hielten diesen Namen für den Orakelspruch des Schicksals: »Scheide nicht«. Aus Dankbarkeit baute der Ritter den Ort nachher weiter an, den Pfaffen aber jagte er aus der Burg.

Hundsfeld

Eine Meile von Breslau ist ein Feld, das Hundsfeld genannt, weil im Jahre 1109 der Kaiser Heinrich V. und der polnische König Boleslaus III. hier eine blutige Schlacht schlugen, in welcher die Deutschen besiegt wurden. Davon blieben sehr viele Leichen unbegraben, und weil dieselben von den Hunden gefressen wurden, so ist dem Platze der Name »das Hundsfeld« geblieben.

Im Jahr 1109 fand Schlacht von Hundsfeld oder Schlacht am Psie Pole tatsächlich statt. Wahrscheinlich bezieht sich diese Geschichte auf dieses historische Ereignis.

Der böhmische Vielfraß

Man sieht in der Maria-Magdalenischen Bibliothek zu Breslau nahe bei dem einen Fenster an der Wand im ersten Vordersaale heute noch ein in Kupfer gestochenes Porträt des sogenannten böhmischen Vielfraßes oder Katzenfressers. Derselbe kam im Jahre 1708 aus Böhmen nach Breslau, logirte etliche Tage in der Stadt, dann aber vor dem Ohlauschen Tor und legte für wenig Geld Proben seiner Unarten ab. Er gab vor, er sei aus Böhmen gebürtig und eines Hirten Sohn, dessen Mutter, als sie mit ihm schwanger gegangen, aus Lüsternheit das rohe Fleisch eines von einem Wolfe totgebissenen Schafes mit großer Begierde in sich gefressen und damit ihr Kind verwahrlost habe. Dieser Kerl fraß mit der größten Begierde lebendige Katzen, Hunde, rohes Fleisch, alte Hüte, Strümpfe, Schuhe, Pelzflecken und Steine, die er in Werg wickelte, und viele hundert Personen haben dies mit ihren eigenen Augen gesehen. Sein Trunk bestand in Wasser oder etwas Branntwein und er war fähig, das rohe Fleisch zu verdauen, einen Theil der Steine aber hat er oftmals wieder von sich weggebrochen. Die andern sind durch ordentliche Stühle von ihm weggegangen, aber im Magen wegen seines grausam hitzigen Geblütes halb verzehrt und sehr leicht worden. Er konnte auch einen Species-Gulden ganz gemächlich verschlingen und nachdem er einen kleinen Abtritt genommen, brachte er solchen wieder auf natürlichem Wege zum Vorschein. Weil aber seine Unflätherei den wenigsten Zuschauern anständig war, hat die Obrigkeit ihn bald aller Orten fortgeschafft und man hat ihn zu Leipzig gar etliche Tage in’s Zuchthaus gesetzt, worauf er durch Sachsen, Brandenburg und die Lausitz wieder nach Böhmen zurückgekehrt ist.

Der gespenstige Schuster

Im Jahre 1591 am 20. September an einem Freitage früh schnitt sich ein wohlhabender Schuster in der Stadt Breslau in seinem hinter dem Hause gelegenen Garten die Kehle ab, aus welchem Grunde, wußte man nicht. Er hatte mit dem Kneife die Halsadern abgekerbt und mußte an der Wunde sterben. Als sein Weib solches gesehen und ihren Schwestern erzählte, wurden sie alle über diesen plötzlichen Unglücksfall auf’s Höchste bestürzt, suchten aber denselben, welchen sie für eine große Schande hielten, auf jede Weise zu verheimlichen. Sie sprach also zu Allen, so sie um ihres Mannes Tod fragten, es habe ihn der Schlag gerührt; sie ließ auch die Tür verriegeln, damit Niemand sehen könne, was geschehen war. Wenn aber ihre Nachbarn und Bekannten kamen, um mit ihr zu sprechen und sie zu trösten, da ließen es die Schwestern der Wittwe nicht zu und sagten, sie erkenne ihre Liebe und Wohlwollen recht wohl, allein der Tote brauche ihre Dienste nicht und die Wittwe wolle in der ersten Bestürzung Niemanden vor sich lassen, sie möchten also, wenn sie wollten, in einiger Zeit wiederkommen. Sie schickten nun zu den Kirchvätern und bestellten bei ihnen das Begräbniß, die Grabstätte und das Geläute, was sie auch ohne Hinderniß erlangten, da der Gestorbene für einen reichen Mann gegolten hatte. Damit aber Alles geheim bliebe und Niemand etwas von dem Morde erführe, dungen sie ein altes Weib, die den verbluteten Körper rein waschen und die Wunde so fest verbinden mußte, daß man nichts davon sehen konnte. Als sie das getan, legten sie ihn mit einander in den Sarg. Die Wittwe selbst, als eine Sechswöchnerin, die vor zehn Tagen erst in’s Kindbett gekommen war, ließ den Geistlichen zu sich kommen, damit er ihr in diesem schweren Falle Trost zusprechen möchte. Dieser kam auch und tröstete die Wittwe; als er sich aber entfernen wollte, baten die Schwestern der Wittwe denselben, der von der Sache nichts wußte, er möge doch einmal den Leichnam betrachten. Das that er auch, hatte aber keinen Gedanken daran, daß etwas dahinter stecke. Denn der Leichnam war so schön mit Leinwand auf allen Seiten umhüllt, daß auch Einer, der wohl Acht darauf hatte, nichts gemerkt haben würde, und sie hatten ihn so hoch gelegt, daß die gefalteten und verdrehten Tücher keinen Argwohn erregen konnten. Den dritten Tag darauf, es war an einem Sonntage, ist er mit großem Gepränge nach Art der Frommen und Vornehmen zur Erde bestattet worden; es ward ihm auch eine solche Abdankung und Leichenrede gehalten, als hätte er ein heiliges und unschuldiges Leben geführt und wäre ein vortrefflicher Christ gewesen.

Ob nun wohl die Verwandten des Verstorbenen meinten, der Mord werde zugedeckt bleiben, weil sie Alles so vorsichtig verrichtet, ist doch gleichwohl ein Gerede unter die Leute gekommen, als hätte sich der Mann selbst ermordet und sei nicht vom Schlage getroffen worden. Anfangs hat man es nicht glauben wollen, allein nichtsdestoweniger ist das Gerede immer stärker geworden, so daß der Rath sich genöthigt sah, Alle, die bei dem Toten gewesen waren, genau zu befragen und sie aufzufordern, der Wahrheit gemäß zu gestehen, was sie gesehen oder gehört und was einem Jeden von ihnen bewußt sei. Ob nun wohl alle diese Personen sich auszureden suchten, auch nicht bei einerlei Antwort blieben, so konnte man doch bald sehen, daß nicht Alles richtig sei; deshalb gestanden sie schließlich ein, er sei gefallen und habe sich an einem spitzigen Stein geschlagen und dabei verwundet. Sie erzählten auch, es hätte sich eine Ahle in seinem Kleide gefunden, man habe dieselbe aber weggeschafft, daß sie nimmermehr Jemand hätte Schaden tun können. Der Rath hielt nun, weil sich die Indicien immer mehr mehrten, Berathschlagung, was zu tun sei. Dies blieb aber eben so wenig verschwiegen, und einige Freunde der Wittwe beredeten selbige, sie solle bei Leibe nicht zugeben, daß der Körper ihres Mannes ausgegraben oder an einen unehrlichen Ort gelegt oder für einen Zauberer oder Selbstmörder gehalten werde, wo man nicht kräftigere Beweise aufzubringen vermöge. Unterdessen erschien hin und wieder ein Gespenst, ganz so gestaltet, wie der Schuster während seines Lebens gewesen war, und zwar sowohl bei Tage als des Nachts. Es erschreckte Viele durch die bloße Gestalt, Viele weckte es mit Poltern auf, Viele drückte es, Andere vexirte es auf andere Art, so daß man früh Morgens überall von dem Gespenste reden hörte. Je mehr nun aber das Gespenst erschien, desto weniger wollten die Verwandten feiern; sie gingen zu dem Präsidenten des Gerichtes und sagten, man glaube den unbegründeten Reden der Leute zu viel, der ehrliche Mann werde in der Grube beschimpft, und sie sähen sich genöthigt, den Prozeß an den Kaiser zu bringen. Als nun die Sache wirklich ein Verbot nach sich zog, da ward das Unwesen immer ärger. Denn gleich nach Sonnenuntergang war das Gespenst da, und weil Niemand davon frei war, sah sich ein Jeder alle Augenblicke nach demselben um. Am meisten wurden die geplagt, welche nach schwerer Arbeit ausruhen wollten; manchmal trat es an ihr Bett, bald legte es sich gar mit hinein und wollte die Leute ersticken, ja es drückte sie so heftig, daß man nicht ohne Verwunderung die Flecken sah, welche von den Fingern desselben gemacht waren, daher man leicht den Schlag beurtheilen konnte. Auf solche Art wurden die an sich schon furchtsamen Leute noch furchtsamer gemacht, also daß sie in ihren Häusern nicht weiter blieben, sondern sicherere Oerter suchen wollten. Die meisten, die in der Schlafkammer nicht sicher waren, blieben in den Zimmern, nachdem sie viele Andere mit hierhin genommen, damit durch die Menge die Furcht vertrieben werde. Allein obschon Alle bei brennenden Lichtern wachten, kam doch das Gespenst, welches manchmal Alle, manchmal aber nur Etliche sahen, von denen es auch allemal Einige quälte.

Indem nun das Geschrei von Tage zu Tage ärger ward und die ganze Stadt das Wesen bestätigte, beschloß der Rath etwas zu versuchen, damit das Gespenst wegbliebe. Der Leichnam hatte nun in den achten Monat im Grabe gelegen, vom 22. September 1591 bis 18. April 1592, als auf hohen Befehl das Grab geöffnet ward. Solchem wohnte der ganze Rath, die Schöppen und andere Bedienteste bei. In dem geöffneten Grabe fand man den Körper ganz und von der Fäule unversehrt, aber wie eine Trommel aufgeblasen, nur daß nichts verändert war und die Glieder noch alle beisammen hingen. Sie waren, welches zu verwundern, nicht wie bei andern Toten erstarrt, sondern man konnte sie gut bewegen. Auf den Füßen hatte sich die Haut abgeschält und es war eine andere gewachsen, viel reiner und stärker als die vorige war, und da fast alle Zauberer an einem verborgenen Orte, daß man es nicht leicht merkt, gezeichnet sind, so hatte dieser an der großen Zehe ein Maal wie eine Rose. Die Deutung davon wußte Niemand. Es war auch kein Gestank zu bemerken, nur die Tücher, in die er gehüllt war, rochen widrig; die Wunde in der Kehle gähnte auf und war röthlich und auch nicht im Mindesten verändert. Der Körper ward vom 8. bis 24. April auf der Bahre Tag und Nacht bewacht, nur des Tages über setzte man ihn an die Luft, des Abends aber stellte man ihn in ein Haus daselbst. Jedermann konnte ihn ganz nahe besehen, und es gingen alle Tage viele Bürger und Viele aus den benachbarten Orten dorthin. Dennoch half das Ausgraben nichts, das Gespenst, so man damit vertreiben wollte, machte noch viel mehr Unruhe. Der Körper wurde unter den Galgen gelegt, allein auch dies half nichts, weil das Gespenst dann so grausam wüthete, daß man es nicht beschreiben kann.

Da nun aber das Gespenst so ganz abscheulich rasete und sowohl vielen Bürgern als seinen guten Freunden selbst große Ungelegenheit machte, so ging die Wittwe zu dem Rath und erklärte, sie wolle Alles zugeben, man möge mit ihrem gewesenen Manne nach aller Schärfe verfahren. Es war aber in der kurzen Zeit vom 24. April bis 7. Mai der Körper viel völliger von Fleisch geworden, was ein Jeder sah, der sich erinnerte, wie er vorher ausgesehen hatte. Hierauf ließ der Rath den Körper am 7ten durch den Henker aus dem andern Grabe nehmen, dann wurde ihm der Kopf abgestoßen, die Hände und Füße zergliedert, hernach der Rücken aufgeschnitten und das Herz herausgenommen, welches so schön aussah, wie von einem frisch geschlachteten Kalbe. Alles zusammen wurde auf einen Scheiterhaufen, der von sieben Klaftern Holz aufgebaut und mit vielen Pechkränzen belegt war, verbrannt. Damit aber Niemand die Asche oder die Gebeine aufsammeln und zur Hexerei aufheben könne, wie sonst zu geschehen pflegt, so durften die Wächter Niemanden nahe hinzulassen. Früh Morgens, als der Holzstoß verbrannt war, wurde die Asche zusammen in einem Sacke in das fließende Wasser geworfen, worauf denn durch Gottes Hülfe das Gespenst weggeblieben ist und nicht mehr gesehen ward.

Original: Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des preußischen Staates

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